Berlin, an einem warmen Montagnachmittag in Berlin.
Mitten drin stehen wir vor der Einfahrt zum Zentrum der U5-Baustelle.
Wir, das sind acht Mitglieder des Bundesausschusses Arbeit und Technik des Kirchlichen Dienstes in der Arbeitswelt (KDA) auf EKD-Ebene.
Uns interessiert, was hier geschieht und warum hier die Arbeiten voran schreiten.
Auf einer Großbaustelle im Herzen der Hauptstadt.

Zustande gekommen ist diese Besichtigung eher zufällig.
Ich kenne privat Reinhold Theiss, Mitarbeiter von ISP Ziviltechnik GmbH und damit einer der Firmen, die gemeinsam das Projekt planerisch begleiten.
Ich hatte ihn mal irgendwann gefragt, ob er mich mal mit auf die Baustelle nimmt.
Dann verabredete sich unser Bundesausschuss in Berlin (eigentlich zu ganz anderen Themen) und so kam eins zum anderen.

Man sieht oberirdisch nicht allzu viel.
Bauzäune, Kräne, eine Baustelle wie tausend andere.
Immerhin, auf den Zäunen wird U-Bahn-Geschichte erzählt.
Und verschiedentlich auch über das Bauprojekt informiert.
„Das ist wichtig für die Akzeptanz einer so langen Bauzeit, das macht die BVG gut“, meinte auch einer der Mitarbeiter, die uns führen.

Doch im Container öffnet sich auf der Leinwand eine ganz andere Welt.
Jahrzehntelange Planung wird sichtbar, zum Teil an hundert Jahre alte Vorhaben anknüpfend.
Eine Bauzeit von mehr als sechs Jahren für die 1600 Meter lange Verbindung vom Roten Rathaus bis zum Brandenburger Tor.
Unter Spree und Spreekanal hindurch und unterhalb der Paradestraße „Unter den Linden“
So soll die Lücke geschossen werden und später die Züge von Hönow über den Alexanderplatz und das Brandenburger Tor bis zum Hauptbahnhof fahren.
2020 muss alles fertig sein, sonst fordert der Bund wohl sein Geld zurück.
So steht es in den Verträgen, hören wir.

Es ist faszinierend, welche Welt sich vor unseren Augen auftut.
Das Leistungsverzeichnis umfasst ca. 1500 Seiten.
Das ist dann noch mal in mehr als 6000 Einzelpläne aufgeschlüsselt.

Am Beispiel der Tunnelvortriebsmaschine wird das ganze Ausmaß für uns an einem Detail sichtbar.
70 Meter lang, hat sich die Maschine 1600 Meter durch den Berliner Untergrund gefressen.
Dann musste sie komplett zurückgezogen werden.
Wenden wie sonst üblich ging nicht – da ist am anderen Ende schon ein Bahnhof.
Und dann beginnt das Ganze noch mal von vorne.
Dieser spektakuläre Teil wird uns erläutert an einer Grafik der Vortriebsmaschine.
Ein Beispiel für die Leistungsfähigkeit von Technik in Kombination mit menschlichem Erfindungsgeist.

Nach dem Vortrag über das Gesamtvorhaben werfen wir einen Blick in die Gleiswechselanlage, die gerade im Rohbau entsteht.
Anschließend laufen wir mit Gummistiefeln, Warnwesten und Helmen etwa 500 Meter mitten durch Berlin.
An der Baustelle Humboldtforum vorbei zum Einstieg Mui-West.
Wir ernten erstaunte und belustigte Blicke.
„Seid ihr auf einem Junggesellenabschied?“, fragt uns jemand.
Nein, wir wollen dorthin, wo der Bahnhof Museumsinsel entsteht.
Wir steigen 15 Meter in die Tiefe und stehen auf den bereits gebohrten Röhren.
Momentan werden die Bohrungen für die Vereisung des Bodens durchgeführt.
Später wird über ein Rohrsystem der gesamte Boden unter Tage vereist und dann der Bahnhof herausgebrochen.
Zu sehen ist in dem Loch außer ein paar Löchern und dem Durchbruch der Decken der Tunnelröhren noch nichts.
Es wird nachvollziehbar, warum das alles so lange dauert – und „oben“ der Eindruck entsteht, da wird doch gar nicht gearbeitet…

Ich stehe hier unten, sehe oben den Giebel des Kommandantenhaus (Bertelsmannstiftung) und stelle mir vor:
2020 steige ich hier aus einer Bahn und fahre mit der Rolltreppe nach oben.
Eine skurrile Vorstellung.

So nebenbei erfahren wir, dass auch hier im Tunnelbau Gottesdienste zur Tradition gehören:
Am Anfang gab es einen großen ökumenischen Gottesdienst.
Und jährlich am Barbaratag wieder.
Die Verbindung zum Bergbau wird erkennbar – und auch mancher Kumpel hat ja im Lauf des Zechensterbens im Tunnelbau eine neue Aufgabe gefunden.
Wer sich im Bergbau etwas auskennt, bemerkt hier auf der Baustelle schnell die technischen, aber auch mentalen und „kulturellen“ Gemeinsamkeiten.

In der Diskussion geht es auch um die Frage:
Warum gelingt dieses Großvorhaben und andere tun sich so schwer?
Warum laufen solche Projekte zeitlich und finanziell schnell aus dem Ruder?
Auf die erste Frage ist es schwer, eine Antwort zu finden – jedes Projekt ist anders.
Die zweite Frage ist „einfach“:
Es gibt bei aller Planung unvorhergesehene Entwicklungen.
Je nach Umfang der Schwierigkeiten stoppen sie die gesamte Arbeit, z.B. aus Gründen der Sicherheit.
Dann muss neu geplant werden und die Finanzierung geklärt werden.
Auch hier gab es eine Entwicklung, die die Bauzeit um ein halbes Jahr verlängert hat.

Finanziell, so hören wir, ist es so:
In Deutschland bekommt am Ende der billigste Anbieter den Zuschlag.
Am Gotthardtunnel wurde dagegen eine Medianlösung ausgeschrieben:
Der mittlere Anbieter bekam den Auftrag.
Dadurch entfiel der „Zwang“, Kosten unbedingt klein zu rechnen.
Es scheint geklappt zu haben, der Tunnel in der Schweiz ist wohl finanziell und zeitlich im Rahmen geblieben.

Nach drei Stunden verlassen wir nachdenklich das Gelände.
Beim Abendessen diskutieren wir noch intensiv mit Reinhold Theiss weiter, bevor dieser nach Tegel aufbricht, um seinen Flieger nach Wien zu bekommen.
Denn er ist nur etwa einen Tag im Monat hier vor Ort (und legt viel Wert darauf!), alles andere geht heutzutage auf digitalem Weg…

Hier noch einige Bilder, die ersten sind aus der Baustelle Gleiswechselanlage, die weiteren aus der Baustelle Museumsinsel. Teils sind dort die aufgebrochenen Decken der bereits gebohrten Tunnelröhren zu sehen, der Bahnhof wird also noch einige Meter unter dem derzeitigen Niveau liegen.