Von Dr. Roland Pelikan, Industrie- und Sozialpfarrer im Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt (kda) der Evang.-Luth. Kirche in Bayern

Thema:

Langzeitarbeitslose? – ´Alles Lüge` (Rio Reiser) oder:

´Wie könnt ihr Gutes reden, wenn ihr böse seid?` (Matth. 12,34)

 

Predigttext Mt 12,33-37

 

Alles Lüge (Text und Lied: Rio Reise)

Es ist wahr daß das Jahr über dreihundert Tage
in nur zweiundfünfzig Wochen schafft
Es ist wahr es ist wahr daß das Ausland
vielmehr Ausländer als Deutsche hat
Es ist wahr daß die Sonne nicht um die Erde
und der Mond nicht um ‘n Fußball kreist
Es ist wahr daß der Gründer von New York
nicht Kamel oder Camel sondern Stuyvesant heißt
Das ist wahr das ist wahr
Aber sonst aber sonst:
Alles Lüge Alles Lüge
Alles Lüge Alles Lüge

Es ist wahr es ist wahr die meisten Menschen
wollen nicht in Dortmund leben sondern Essen
Es ist wahr es ist wahr daß die Kühe
das Gras nicht rauchen sondern fressen
Es ist wahr es ist wahr
daß Hamburg nicht die Hauptstadt von McDonalds ist
Es ist wahr es ist wahr daß der Papst zwar die Pille nicht nimmt
aber trotzdem keine Kinder kriegt

Das ist wahr das ist wahr
Aber sonst – aber sonst:
Alles Lüge Alles Lüge
Alles Lüge Alles Lüge

Selbst wenn Du mich fragst ob ich Dich liebe und ich sag ja
Weiß ich manchmal nicht genau ist das nun Lüge oder wahr
Weil ich oft gar nicht mehr weiß was ist das: Liebe
Liebt der Papa sein Auto liebt die Mama den Kaffee
Liebt das Baby seine Windeln wie der Weihnachtsmann den Schnee
Lieben Kinder Schokolade wie die Hausfrau den Herd
Oder ist da mehr oder ist da mehr
Oder ist das oder ist das oder ist das

Alles Lüge Alles Lüge
Alles Lüge Alles Lüge…

(c) Pixabay

Predigttext Mt 12,33-37

 

  • (33) Entweder erklärt: der gute Baum trägt seine gute Frucht, oder erklärt: der böse Baum trägt böse Frucht. An der Frucht wird der Baum erkannt.
  • (34) Schlangenbrut, wie könnt ihr Gutes reden, wenn ihr böse seid? Der Mund redet aus dem, wovon das Herz voll ist.
  • (35) Der gute Mensch nimmt Gutes aus dem guten Schatz, und der böse Mensch nimmt Böses aus dem bösen Schatz.
  • (36) Ich sage euch aber, von jedem fruchtlosen (wirkungslosen) Wort, das die Menschen reden, müssen sie Rechenschaft ablegen am Tag des Gerichts.
  • (37) Denn nach deinen Worten wirst du gerechtfertigt, und nach deinen Worten wirst du verurteilt.

 

 

Liebe Gemeinde!

Was sind uns Arbeitslose wert? Langzeitarbeitslose? Gibt’s die überhaupt noch? Lebt denn der alte Holzmichel noch? Ja, er lebt noch! Und ebenso gibt es noch immer: Langzeitarbeitslose. Und sie leben noch!

Evangelium, aus dem Griechischen ´eu-angelion` übersetzt, heißt: Gutes Reden. Wie reden wir – wenn überhaupt – über Arbeitslose? Oder übergehen wir sie am liebsten mit Schweigen? Ist, von „Langzeitarbeitslosen zu reden: – ´Alles Lüge` (Rio Reiser) oder mit dem Evangelium an Buß- und Bettag 2017 zu bedenken:

´Wie könnt ihr Gutes reden, wenn ihr böse seid?` (Matth. 12,34)

(33) Entweder erklärt: der gute Baum trägt seine gute Frucht, oder erklärt: der schlechte Baum trägt schlechte Frucht. An der Frucht wird der Baum erkannt.

Guter Baum trägt gute Früchte. Was trägt unser Reden und Tun aus im Hinblick auf Langzeitarbeitslose? Unser Reden und Tun als Kirche und Christen?

Ein schlechter Baum bringt faule Frucht. Wie reden wir über Arbeitslose? Wenn wir denn von ihnen reden! In Ausflüchten und Ausreden? Alles übertrieben? Am Ende selber schuld? Denken wir da an das 8. Gebot? Du sollst nicht falsch Zeugnis reden über deinen Nächsten?

(34) Schlangenbrut, wie könnt ihr Gutes reden, wenn ihr böse seid? Der Mund redet aus dem, wovon das Herz voll ist.

Von Langzeitarbeitslosen reden – kundig und ehrlich? Können wir das mit guten Gründen? Oder schweigen wir lieber, weil sie uns scheinbar nichts angehen? Kein Wunder, dass Jesus seine Kritiker als „Schlangenbrut“ bezeichnet. Ignorant gegenüber langzeitarbeitslosen Menschen, gehören wir dazu? Dann, wenn wir Verhältnisse von arm und reich schönreden, Missstände einseitigen Wirtschaftswachstums leugnen. Die Tatsache, dass – trotz blühender Wirtschaftsdaten –seit Jahren die hohe Zahl an Langzeitarbeitslosen gleich bleibt. Selbst die Bundesagentur für Arbeit weiß sich darauf keine Antwort und hat für die Betroffenen kein Rezept. So bleiben Menschen ohne Arbeit sich selbst überlassen – und dem Gerede und Geschwätz ihrer Zeitgenossen – auch dem unsrigen – ausgeliefert: „Wes des Herz voll ist, geht der Mund über.“

Haben wir denn Wichtiges und Richtiges zu sagen zur Tatsache der Langzeitarbeitslosigkeit? Oder verleumden wir – aus dem Überlauf unserer Geschwätzigkeit – Menschen in Wahrheit aus unserer Unkenntnis der Ursachen der Arbeitslosigkeit? Dann sind sie – auch von uns – allein gelassen von Gott und der Welt. Unser scheinbar christliches Reden kann so auch die Atmosphäre mit vergiften, wenn dem Gerede über angebliche Faulheit und Unflexibilität nicht widersprochen wird. Nehmen wir Betroffenen so den letzten Rest an Hoffnung, so ist unser Reden gotteslästerlich zu nennen!

(35) Der gute Mensch nimmt Gutes aus dem guten Schatz, und der böse Mensch nimmt Böses aus dem bösen Schatz.

Was wäre wertschätzende Rede und Gutes Tun an Langzeitarbeitslosen? Verhältnisse und Maßnahmen der Arbeitsverwaltung nicht schön zu reden, die es nicht schafft, Langzeitarbeitslosigkeit aufzulösen. Gut wäre, als Kirche die notwendige Kritik am Kapitalismus als legitim zu erachten, und nach Wegen zu suchen, die Betroffenen Perspektiven der Hoffnung ermöglichen. Damit Verhältnisse besser und anders werden. Der andere Fall wäre sonst die Haltung: „Wer schweigt, stimmt zu!“ Unser Schweigen zu Unrecht und Benachteiligung von Arbeitslosen ist der böse Schatz unserer verlogenen Moral, die sich auf den Markt als scheinbare Allmacht und behauptetes Allheilmittel beruft. So nimmt man Menschen jeglichen Mut auf Veränderung und verweigert ihnen die Solidarität, sich für sie einzusetzen.

(36) Ich sage euch aber, von jedem fruchtlosen (wirkungslosen) Wort, das die Menschen reden, müssen sie Rechenschaft ablegen am Tag des Gerichts.

Früher oder später kommt heraus, wes Geistes Kind wir waren oder sind.

Eben darum wendet Jesus das Gericht über unser ´unnützes` Reden und Tun an, wie Luther hier sagt. Unnütze Worte und Taten angesichts der gleichbleibenden Zahl von Langzeitarbeitslosen in einem schönen reichen Land, das sich der Welt gerne humanistisch und christlich zeigt.

Langzeitarbeitslose: „Alles Lüge“?, um mit dem bekannten Lied von Rio Reiser zu reden (s.o.).

Wenn Kirche und Christentum zur brennenden Frage von Arm und Reich und zur demütigenden Erfahrung von Langzeitarbeitslosigkeit als gesellschaftlicher Herausforderungen nichts zu sagen weiß oder nur das faule Geschwätz der Stammtische teilt, dann hat sie der Welt nichts mehr zu sagen und das Gericht über sie ist längst gefällt. Sie fällt der Beliebigkeit und Bedeutungslosigkeit anheim – und kein Hahn kräht mehr nach ihr.

(37) Denn nach deinen Worten wirst du gerechtfertigt, und nach deinen Worten wirst du verurteilt.

Noch ist es Zeit. Gelegenheit zu widersprechen. Und bessere Gerechtigkeit zu suchen (1. Kor 12,31b). Wo Politik und Öffentlichkeit Verhältnisse schönreden und Missstände verschweigen, den Mund aufzutun für die Schwachen und Benachteiligten. Denn es ist ein Übel und schreiendes Unrecht, Menschen in ihrer Not des Nichtstuns, der beruflichen Perspektivlosigkeit und der dauerhaften Arbeitslosigkeit als ihrem scheinbaren ´Schicksal` zu überlassen. Jesus redet nicht von Schicksal und Alternativlosigkeit einer so genannten freien Marktwirtschaft. Er spricht vom ´Neuen Sein`, um mit Paul Tillich zu reden. Und so ist im Angesicht Jesu zu fragen, wie wir Gutes reden und Heilsames tun lernen, wie wir „Ethik lernen“  – an und für Langzeitarbeitslose bei uns und unter uns – in Gottes Namen, wie der Apostel Paulus sagt:

„Stellt euch nicht dieser Welt gleich, sondern lasst eure Wahrnehmung verändern, damit ihr prüfen könnt, was Gottes Wille ist, nämlich das Gute, Angenehme und Vollkommene.“ (Römer 12, 2)

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn.

Amen.

 

 

Karl-Ulrich Gscheidle
Wirtschafts- und Sozialpfarrer
Kirchlicher Dienst in der Arbeitswelt (KDA), Prälatur Reutlingen
Federnseestraße 4
72764 Reutlingen
Telefon: 07121-161771

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