Von Philip Büttner, Wiss. Referent, kda Bayern

Eine Million Menschen steckt seit über zehn Jahren in Hartz IV fest

Wer redet noch von der Arbeitslosigkeit? Über Jahrzehnte hat dieses Thema politische Debatten bestimmt – einsetzend mit der ersten Million gemeldeter Arbeitsloser im Jahr 1975 bis zum Höchststand von fünf Millionen im Jahr 2005. Hannah Arendts berühmte Prognose einer Arbeitsgesellschaft, der die Arbeit ausgeht, schien damals Realität zu werden. Ähnliche Ängste werden wieder wach, wenn wir an Zukunftsszenarien einer volldigitalen Arbeitswelt denken. Aber im Hier und Jetzt spielt Arbeitslosigkeit keine große Rolle.

Heute haben 44 Millionen Menschen in Deutschland eine Arbeitsstelle. So viele wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik. Die Arbeitslosigkeit hat sich in den vergangenen zwölf Jahren halbiert. „Nur“ noch 2,5 Millionen Arbeitslose verzeichnet die Statistik der Bundesagentur für Arbeit. In manchen wirtschaftsstarken Regionen Deutschlands redet man bereits von Vollbeschäftigung.

Nur die Freude darüber will sich nicht recht einstellen. Das hat zwei Gründe: Zum einen haben sich die sozialen Probleme nicht in Luft aufgelöst, sondern nur von den Arbeitslosen zu den prekär Beschäftigten verlagert. Heute sind in Deutschland zwar weniger Menschen arbeitslos als früher, aber ebenso viele arm. Zum anderen fällt es schwer, bei 2,5 Millionen Arbeitslosen überhaupt von „Vollbeschäftigung“ zu reden.

Viele Erwerbstätige, die gekündigt werden oder selber kündigen, bleiben tatsächlich nur kurze Zeit arbeitslos. Der Arbeitsmarkt bietet ihnen derzeit relativ zahlreich offene Stellen, wenn auch oft befristet und niedrig bezahlt. Diejenigen aber, die aufgrund gesundheitlicher Probleme, höheren Alters, fehlender Berufsabschlüsse oder geringer Deutschkenntnisse keinen direkten Weg zurück in den Arbeitsmarkt finden, bleiben lange ohne Anstellung. Im Bereich der Hartz-IV-Empfänger ist die Dauer der Arbeitslosigkeit in den letzten Jahren gestiegen statt gesunken. Es gibt sogar einen harten Kern von etwa einer Millionen Hartz-IV-Beziehenden, die seit über zehn Jahren im Grundsicherungssystem leben. Nicht alle diese Menschen sind formal arbeitslos, doch chancenlos, jemals wieder aus dem Leistungsbezug herauszukommen. Der Markt will sie nicht, die Politik scheint sie vergessen zu haben.

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Gerade die Erwerbsuchenden, die viel Förderung brauchen, bekommen besonders wenig davon. Die Jobcenter investieren gern dort, wo schnell Erfolge sichtbar werden. Im Bundeshaushaltsentwurf für 2018 sind ihre Mittel für Qualifizierung und Förderung zudem schon wieder um hunderte Millionen Euro gekürzt worden. Der ohnehin zu knappe „Eingliederungstitel“ wurde von den Jobcentern in den letzten Jahren teilweise auch noch für die eigenen Personal-, Miet- und Stromkosten zweckentfremdet.

Politik und Arbeitsverwaltung müssen umdenken! Die herrschende Spar- und Marktlogik ist im Bereich der Arbeitsförderung fehl am Platz. Arbeit darf kein Vorrecht der Jungen, Gesunden und Hochqualifizierten sein. Alle Menschen sind nach christlicher Überzeugung mit Gaben ausgestattet und Mitarbeiter in Gottes Schöpfung. Fehlt die Arbeitsstelle, fehlt mehr als eine Einkommensquelle. Wie Martin Luther es kraftvoll sagte: “Von Arbeit stirbt kein Mensch, aber von Ledig- und Müßiggehen kommen die Leute um Leib und Leben, denn der Mensch ist zur Arbeit geboren wie ein Vogel zum Fliegen.”.

Arbeitslosigkeit darf uns also keine Ruhe lassen – auch wenn sie nicht mehr so viele Menschen betrifft wie noch vor zwölf Jahren. Arbeit ist mal Freude, mal Mühsal, aber sie gehört unlöslich zum Menschsein dazu. Erst der Zugang auch der weniger Leistungsstarken zu guter Arbeit und eigenständigem Lebensunterhalt schafft die Voraussetzung für eine gerechte Gesellschaft.

Philip Büttner
Sozialwiss. Referent
KDA der LK Bayern
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