Von Dr. Dieter Heidtmann, Leiter des KDA und Studienleiter an der Evangelischen Akademie Baden 

Was würdest Du tun, wenn Dir jemand jeden Monat 1.000 Euro zahlt – ohne Gegenleistung? Bei Familien erhält natürlich jedes Familienmitglied diese 1.000 Euro pro Monat. Würdest Du weiter einem bezahlten Beruf nachgehen oder endlich einmal das tun, was Du schon immer einmal tun wolltest? Ab sofort nur noch in der Sonne liegen oder all die Projekte umsetzen, die notwendig sind, um diese Welt zu retten?

Was ist das „bedingungslose Grundeinkommen?

Dieses Grundeinkommen soll nach der Überzeugung der Befürworter bedingungslos allen Mitgliedern einer Gesellschaft zur Verfügung gestellt werden. Es soll „die Existenz sichern und gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen, einen individuellen Rechtsanspruch darstellen sowie ohne Bedürftigkeitsprüfung und ohne Zwang zu Arbeit oder anderen Gegenleistungen garantiert werden. Das Grundeinkommen stellt somit eine Form von Mindesteinkommenssicherung dar, die sich von den zur Zeit in fast allen Industrienationen existierenden Systemen der Grund- bzw. Mindestsicherung wesentlich unterscheidet. Das Grundeinkommen wird erstens an Individuen anstelle von Haushalten gezahlt, zweitens steht es jedem Individuum unabhängig von sonstigen Einkommen zu, und drittens wird es gezahlt, ohne dass eine Arbeitsleistung, Arbeitsbereitschaft oder eine Gegenleistung verlangt wird.“[i]

Die Idee ist, dass ein solches System nicht nur sofort für sehr viel mehr Gerechtigkeit in der Gesellschaft sorgen, sondern auch enorme Ressourcen in der Gesellschaft freisetzen würde. Die Menschen müssten ja nicht mehr arbeiten, um ihren Lebensunterhalt zu „verdienen“, sondern könnten sich auf das konzentrieren, was für sie (und für die Gesellschaft) wirklich wichtig ist. Sie könnten sich bilden, ihre Familien stärken, unbesorgt ehrenamtlichen Tätigkeiten nachgehen und risikofrei neue Unternehmen gründen. Arbeitslosigkeit gäbe es nicht mehr.

Soziale Antwort auf die „Industrie 4.0“

In den letzten Monaten haben die Vorschläge für ein solches bedingungsloses Grundeinkommen eine neue Dynamik bekommen, weil sich nicht nur linke Basisgruppen oder einzelne Unternehmer wie der DM-Gründer Götz Werner für diese Idee stark machen, sondern sich das Weltwirtschaftsforum in Davos sehr ernsthaft mit den Realisierungsmöglichkeiten solcher Ideen befasst hat. Hintergrund dieses Interesses ist die zunehmende Digitalisierung in der Wirtschaft. “Ich bin der festen Überzeugung, dass das bedingungslose Grundeinkommen die effektivste Antwort auf das Dilemma der Robotisierung ist,“ argumentierte der niederländische Ökonom Rutger Bergman auf dem Weltwirtschaftsforum. „Nicht, weil die Roboter die ganzen anspruchsvollen Aufgaben übernehmen werden, sondern weil das bedingungslose Grundeinkommen jedem die Möglichkeit bietet, eine sinnvolle Tätigkeit auszuüben.[ii] Tatsächlich ist die Sorge, dass die vierte industrielle Revolution (Industrie 4.0) eine große Anzahl von Arbeitskräften beschäftigungslos machen könnte. Eine Umverteilung der Rationalisierungsgewinne aus der Digitalisierung über ein Grundeinkommen würde den sozialen Sprengstoff aus dieser Entwicklung nehmen.

Wer soll das bezahlen?

Gegen das Konzept eines bedingungslosen Grundeinkommens wird immer wieder eingewandt, es sei nicht finanzierbar. Der Unternehmer Götz Werner hält dieses Argument für vorgeschoben: „Das Finanzierungsproblem stellt sich nicht. Wir alle leben nicht vom Geld, sondern von Gütern. Die richtige Frage lautet daher: Ist die Gesellschaft in der Lage, so viele Güter und Dienstleistungen zustande zu bringen, dass 82 Millionen Menschen in der Größenordnung von mindestens 1000 Euro davon leben können. Da ist die Antwort – bei einem Bruttosozialprodukt von 2500 Milliarden und Konsumausgaben von 1800 Milliarden Euro – eindeutig ja.“[iii]

Schwieriger ist die Frage, wie sich solche Konzepte angesichts der Vernetzung in der Weltwirtschaft auf nationaler Ebene überhaupt umsetzen lassen. Ist eine Volkswirtschaft, in der nur noch zum Vergnügen gearbeitet wird, langfristig in der Lage, die lebensnotwendigen Güter zu erzeugen und im weltweiten Wettbewerb konkurrenzfähig zu bleiben?

Ist das bedingungslose Grundeinkommen gerecht?

Damit kommen wir zu zwei Grundfragen, die durch die Konzepte des bedingungslosen Grundeinkommens ausgelöst werden. Ist es gerecht, wenn Menschen unabhängig von ihrer Leistung dieselbe Bezahlung erhalten? Und welche Bedeutung hat die Arbeit überhaupt für die menschliche Existenz?

Interessanterweise werden diese Anfragen sowohl von Befürwortern als auch von Gegnern des bedingungslosen Grundeinkommens gerne an biblischen Texten festgemacht. Das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (Mt 20,1-16) dient den Befürwortern als Argument dafür, dass das Einkommen bedürfnisorientiert und nicht leistungsorientiert sein muss. Die Gegner wehren sich mit einem Pauluszitat: „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen.“ (2 Thess 3,10) Nur geht es in beiden Texten bemerkenswerterweise überhaupt nicht um die Frage der angemessenen Bezahlung einer Erwerbstätigkeit.

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„Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen.“ (2 Thess 3,10)

Die Kritik von Paulus im 2. Thessalonicherbrief richtet sich gegen Mitglieder der urchristlichen Gemeinde, die sich gemeinschaftsschädlich verhalten. „Denn wir hören, dass einige unter euch unordentlich wandeln und arbeiten nichts, sondern treiben unnütze Dinge.“ (2 Thess 3,11) Von solchen Leuten soll sich die Gemeinde fernhalten. Gleichzeitig fordert Paulus aber von den Gemeindegliedern: „Ihr aber lasst ‘s euch nicht verdrießen, Gutes zu tun.“ (2 Thess 3,13)

Wenn man die Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens ernst nimmt, dann soll dieses die Menschen ja gerade dazu befähigen, Gutes zu tun. Die Befreiung von Erwerbszwängen soll den Menschen neue Möglichkeiten geben, sich den wirklich wichtigen gesellschaftlichen Aufgaben zuzuwenden. Tatsächlich spricht das große ehrenamtliche Engagement in unserer Gesellschaft dafür, dass nur die allerwenigsten ein bedingungsloses Grundeinkommen nützen würden, um auf Kosten der Gemeinschaft „unnütze Dinge“ zu tun. Das sind vermutlich dieselben, die schon im jetzigen Sozialsystem Mittel und Wege finden, sich ihrer Verantwortung für die Gemeinschaft zu entziehen. Insofern lässt sich das Pauluszitat nicht wirklich gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen verwenden.

Paulus macht vor allem das Kriterium deutlich, nach dem Arbeit in der Perspektive des Evangeliums bewertet wird: nach ihrem Beitrag zum Nutzen der Gemeinschaft und in der Verantwortung vor Gott. „Der Herr aber richte eure Herzen aus auf die Liebe Gottes und auf das Warten auf Christus.“ (2 Thess 3,5)

Das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (Mt 20)

Im Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (Mt 20) erhalten die Arbeiter, die seit dem frühen Morgen im Weinberg gearbeitet haben, denselben Lohn wie diejenigen, die erst eine Stunde vor Sonnenuntergang die Arbeit aufgenommen haben. Das führt zu Protesten derjenigen, die für dasselbe Geld viel länger tätig waren. „Diese Letzten haben nur eine Stunde gearbeitet, doch du hast sie uns gleichgestellt, die wir des Tages Last und die Hitze getragen haben,“ beschweren sich die Tagelöhner, die schon früh am Morgen mit der Arbeit begonnen haben. (Mt 20,12) Dieses Gefühl, ungerecht behandelt worden zu sein, lässt sich gut nachvollziehen.

Trotzdem steht hinter der Übertragung des Gleichnisses auf Einkommensfragen ein großes Missverständnis. Das Gleichnis befasst sich nämlich gar nicht mit der Frage, ob ein Lohn eher leistungsgerecht oder bedürfnisorientiert sein sollte. Hier geht es um das Reich Gottes! Thema des Gleichnisses ist die Frage, ob diejenigen, die von Gott später berufen wurden, genauso zum Reich Gottes gehören werden wie das Volk der Juden, das Gott zuerst ausgewählt hat. Im Hintergrund des Gleichnisses steht die Frage, ob nicht nur die Judenchristen, sondern auch die Christen aus einer anderen Herkunft zum Himmelreich gehören werden. Diesen Zugang zur Gnade Gottes kann man sich gar nicht „verdienen“, egal wie früh am Morgen man aufsteht!

„Wer unter euch der Erste sein will, der sei euer Knecht“

Direkt im Anschluss an das Gleichnis warnt das Matthäus-Evangelium die Jünger Jesu dann auch vor jeglicher Form der religiösen Überheblichkeit: „Wer unter euch groß sein will, der sei euer Diener; und wer unter euch der Erste sein will, der sei euer Knecht.“ (Mt 20,26-27) Auch hier führt die Vereinnahmung des Bibeltextes für ein bestimmtes Einkommenskonzept am eigentlichen Thema vorbei. Wenn man etwas für die Debatte um das bedingungslose Grundeinkommen aufgreifen will, dann die Tatsache, dass die Erwartung des Reiches Gottes zurückweist in den Dienst an der Welt und uns ermutigt, anderen Menschen zu dienen. Kriterium für das richtige Verhalten ist demnach auch hier der Nutzen für die Gemeinschaft im Dienste Gottes. Anders gesagt: Gerecht ist, was der Gemeinschaft nützt!

Gerechte Teilhabe

„Teilhabegerechtigkeit“ ist ein Grundgedanke, den die evangelischen Kirchen immer wieder in die gesellschaftlichen Debatten eingebracht haben: Gerechtigkeit orientiert sich demnach nicht nur daran, wie gleichmäßig die Güter in einer Gesellschaft verteilt sind (Verteilungsgerechtigkeit), sondern auch daran, inwieweit sie den Menschen ermöglicht, sich mit ihren Begabungen und Fähigkeiten in eine Gesellschaft einzubringen. Im Hinblick auf das Thema Arbeit stellt die EKD Denkschrift „Gerechte Teilhabe“ fest: „Das heißt mit Blick auf das gegenwärtige Wirtschaftssystem, dass ein größtmöglicher Teil der Bevölkerung über bezahlte Arbeit verfügen soll, soweit er dies anstrebt, und dass gleichzeitig die wichtige, vielfältig geleistete familiale, soziale und gesellschaftliche Arbeit in angemessener Weise anerkannt und integriert wird. Der Begriff der ‚gerechten Teilhabe‘ meint genau dies: umfassende Beteiligung aller an Bildung und Ausbildung sowie an den wirtschaftlichen, sozialen und solidarischen Prozessen der Gesellschaft.“ [iv]

„Die Wirtschaft soll den heutigen und den künftigen Menschen dienen“

1942-43 ist im Auftrag der Bekennenden Kirche von einer Gruppe von Ökonomen in Freiburg die sogenannte „Freiburger Denkschrift“ verfasst worden, das Grundkonzept der „Sozialen Marktwirtschaft“. Grundidee dieser Wirtschaftsordnung ist, dass die Wirtschaft den heutigen und den künftigen Menschen dienen soll. Das entspricht den Kriterien des Matthäus-Evangeliums ebenso wie denen des Paulusbriefes, wonach „gerecht“ ist, was den Menschen und Gott dient. Wie gut ist nun ein bedingungsloses Grundeinkommen geeignet, um den Nutzen aller in der Gesellschaft sicher zu stellen?

Arbeit als Gottesdienst

Martin Luther war derjenige, der nach vielen Jahrhunderten die Arbeit erstmals wieder als eine ganz besondere Form des Dienstes verstanden hat. In der Antike und im Mittelalter galt Arbeit als eine Aufgabe von Sklaven und Bauern und es war erstrebenswert, nicht arbeiten zu müssen, um frei zu sein für die geistlichen Fragen des Lebens. Dagegen stellte Luther fest: „Ein Schuster, ein Schmied, ein Bauer, ein jeglicher hat seines Handwerks Amt und Werk, und doch sind alle gleich geweihte Priester und Bischöfe, und ein jeglicher soll mit seinem Amt oder Werk den andern nützlich und dienstlich sein.“[v]

Durch diese Übertragung der Rechtfertigungslehre auf das weltliche Leben macht Luther die Arbeit zu einer Form des Gottesdienstes. Jegliche menschliche Tätigkeit steht im Auftrag Gottes. In einer Predigt zum höchsten Gebot (1532) formuliert Luther: „Wenn ein jeder seinem Nächsten diente, dann wäre die ganze Welt voll Gottesdienst. Ein Knecht im Stall wie der Knabe in der Schule dienen Gott. Wenn so die Magd und die Herren fromm sind, so heißt das Gott gedient, so wären alle Häuser voll Gottesdienst“[vi].

„Der Mensch ist zur Arbeit geboren wie der Vogel zum Fliegen“

Martin Luther hat einmal festgestellt, der Mensch sei zur Arbeit geboren wie der Vogel zum Fliegen. Insofern werden im Streit über ein bedingungsloses Grundeinkommen tatsächlich wichtige Fragen aufgeworfen. Wird Arbeit ausreichend bezahlt? Ist es gerecht, dass nur bestimmte Formen von Arbeit bezahlt werden und andere, z. B. in der Familie, von der Gesellschaft eher bestraft werden (z. B. im Rentensystem). Ermöglicht unser Wirtschaftssystem den Menschen eine Teilhabe an Gesellschaft, in der sich alle einbringen können?

Meine persönliche Einschätzung ist, dass das System eines bedingungslosen Grundeinkommens so weit weg von der jetzigen Wirtschaftsordnung ist, dass eine Einführung nicht realistisch ist. Es ist ein schönes Gedankenspiel, aber nicht mehr. Insofern konzentrieren wir uns im Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt (KDA) sehr viel stärker auf die konkreten Fragen der Arbeitswelt: Wie können wir dafür sorgen, dass die Menschen, die Arbeit haben, auch würdig von dieser Arbeit leben können und eine Familie ernähren können (sogenannte „living wages“)? Wie verhindern wir, dass Menschen, die ihr Leben lang gearbeitet haben, im Alter in Armut geraten, weil ihre Rente viel zu gering ist. (Das ist im Übrigen eine Frage, die insbesondere diejenigen betrifft, die jetzt noch jung sind!) Wie sorgen wir für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf?

Ich glaube auch, dass wir angesichts des Auseinanderdriftens der Einkommen in der Gesellschaft die Fragen der Verteilungsgerechtigkeit neu stellen müssen. Dabei geht es auch um den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft, die es auf Dauer nicht aushalten wird, wenn einige wenige immer reicher und viele immer ärmer werden. Das kirchliche Lösungskonzept hierzu heißt „Soziale Marktwirtschaft“. Der Grundgedanke dieser Wirtschaftsordnung ist: Die Wirtschaft soll den heutigen und den künftigen Menschen dienen.

Das gilt für alle – bedingungslos!

 

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Ort der Erstveröffentlichung: das baugerüst 3/17 Thema: Gerechtigkeit? (Zeitschrift für  Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der evang. Jugendarbeit und  außerschulischen Bildung), http://www.ejb.de/index.php?id=1386 (hier finden sich noch weitere interessante Artikel zum Thema Gerechtigkeit)

[i] Zitiert nach www.grundeinkommen.de/die-idee (Stand 27.4.2017)

[ii] Zitiert nach www.weforum.org/agenda/2017/04/15-hour-weeks-basic-income-and-other-big-ideas-for-a-new-economy (Stand 27.4.2017).

[iii] Götz Werner. 1000 Euro für jeden machen die Menschen frei. In: FAZ vom 15.8.2010.

[iv] Gerechte Teilhabe. Befähigung zu Eigenverantwortung und Solidarität. Eine Denkschrift des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland zur Armut in Deutschland. Gütersloh 2006. 12.

[v] Martin Luther, An den christlichen Adel deutscher Nation (1520). WA 6. 409.

[vi] Martin Luther, WA 36. 340.

Dr. Dieter Heidtmann
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