Betriebsratsarbeit – die DNA des Kirchlichen Dienstes in der Arbeitswelt der Nordkirche

Interview zum Frauenmonat März 2023: Bereits seit 40 Jahren gibt es für Mitglieder von Betriebs- und Personalräten sowie Mitarbeitervertretungen beim KDA der Nordkirche ein besonderes Angebot: Die KDA-Betriebsrätetreffen. Die Begleitung von Interessensvertretungen wie auch die Durchführung dieser Treffen liegt rein in „weiblicher Hand“. Für den „Frauenmonat im März 2023“ befragten wir dazu Maike Hagemann-Schilling, Angelika Kähler, Heike Riemann, Kathleen Schulze, Referentinnen in der Nordkirche.

„Die Arbeit mit und für Betriebsrät*innen, Personalrät*innen und Mitarbeitervertretungen gehört zur DNA des KDA“. So ein Zitat. Wie meint ihr das?

Heike Riemann: Dieses Angebot, sich branchenübergreifend, bei Bedarf auch vertraulich, aber immer informativ und sich gegenseitig unterstützend zu treffen, gibt es kontinuierlich bereits seit 40 Jahren. Das ist mehr als die Hälfte unserer Existenz. Gerade haben wir unser 70jähriges Jubiläum gefeiert. Das große Interesse zeigt, es gibt Bedarf.

Angelika Kähler: Zusätzlich organisieren wir Fachkonferenzen. Für beide Formate stammen die Themen oft von den Teilnehmenden. Wir greifen diese Anregungen auf und fragen regelmäßig, wie es den Betriebsrät*innen selbst eigentlich geht. Das erstaunt sie oft, finden wir aber wichtig. Und wir merken immer wieder: Als kirchliche Mitarbeiterinnen haben wir einen anderen Zugang zu ihnen als beispielsweise die Gewerkschaften. Dort spielen Verhandlungs- und Kampfmodi eine größere Rolle.

Kathleen Schulze: Zurzeit bereiten wir die nächsten beiden Betriebsrätetreffen und einen Fachtag für Interessensvertretungen vor. Dabei merken wir deutlich: Der Arbeitskräftemangel und die damit verbundenen Überlegungen, wie man Mitarbeiter*innen gewinnt und behält, sind auch aktuelle Themen für die Interessensvertretung: Wie sind sie in die Personalplanung eingebunden, z.B. oder auch, wie können Firmen auf private Verpflichtungen von Mitarbeitenden gut eingehen. Das sind Themen, die uns auch in der übrigen KDA-Arbeit beschäftigen. Der Austausch mit den Betriebsrät*innen ist deshalb für uns wichtig.

 

Wie würdet Ihr Eure weitere Arbeit mit Betriebsrät*innen beschreiben?

Kathleen Schulze: Unsere Zusammenarbeit geht über die oben genannten Veranstaltungen hinaus. Es ist eine gute Kooperation in beide Richtungen. Wir gehen in den Austausch, wir informieren, wir sind Ansprechpartnerinnen, wenn es Probleme gibt, und wir stehen vor den Toren der Betriebe bei Streiks und Protesten– im Gegenzug stehen uns die Betriebsrät*innen als fachkundige Referent*innen für Veranstaltungen oder bei Gottesdiensten zur Verfügung und geben uns Einblicke in die Arbeitswelt. Wir organisieren auch Betriebsbesuche z.B. für Pastor*innenkonvente, so dass diese einen Einblick in aktuelle Arbeitsthemen erhalten und mit den Menschen im Betrieb ins Gespräch kommen können. Das funktioniert, weil die Kontakte teilweise bereits über Jahre bestehen.

Maike Hagemann-Schilling: Zunehmend weiten wir dieses Angebot auch nach Schleswig-Holstein aus, auch dort sind wir gut vernetzt. In einem meiner Schwerpunktbereiche, dem der Gesundheit und Pflege, brennt es zurzeit besonders und es folgt eine Klinik-Insolvenz nach der anderen. Da ist es uns wichtig zu zeigen, „wir sehen euch und stehen an eurer Seite“.

 

Wie ist die Verteilung von Frauen und Männern bei euren Veranstaltungen für Betriebsräte?

Wen sprecht ihr an, Männer oder Frauen?

Heike Riemann: Beide! Nach wie vor haben viele Menschen beim Stichwort Betriebsrat einen erfahrenen, gestandenen Mann vor Augen, der im Laufe seiner Arbeit vielleicht auch etwas gnadderig und bärbeißig geworden ist. Wir haben einen breiten Verteiler aus Großunternehmen und vielen kleineren Betrieben, auch Mitarbeitervertretungen aus der Kirche sind darunter, und wir können dieses Bild so nicht bestätigen. Wir erleben eine hohe Professionalität in der Sache und in der Hinwendung zu Kolleginnen und Kollegen und wir haben viele Frauen mit dabei. Von den aktuellen 27 Anmeldungen zum nächsten Treffen sind z.B. 17 von Frauen

Angelika Kähler: Die Entwicklung weg von der Produktionsarbeit hin zu mehr Dienstleistung ist ja ein langfristiger Trend. Das verändert natürlich auch die Zusammensetzung der Interessensvertretungen und deren Themen. Im Bereich Gesundheit zum Beispiel, weg von Arbeitsschutz wegen Schmierstoffen und Rückenbelastungen, hin zu psychischen Belastungen.

Kathleen Schulze: Mein Eindruck ist, dass über die Jahre der Anteil der Frauen gestiegen ist.

Angelika Kähler:

Das stimmt bei uns auch. Im Laufe meines Berufslebens ist der KDA sehr viel weiblicher geworden.

Heike Riemann: Auch in den Betrieben ist Frauenarbeit auf allen Positionen selbstverständlicher geworden. Also auch im Betriebsrat oder als Betriebsratsvorsitzende. Ich kenne allerdings Betriebe, da war dies vor 30 Jahren schon so.

 

Machen Frauen Betriebsratsarbeit anders als Männer?

Angelika Kähler: Ich stelle mal eine These auf. Frauen sind gut ausgebildet, aber auch zu schlechteren Arbeitsbedingungen bereit. Sie übernehmen die Mehrarbeit, auch wenn sie nicht dafür extra bezahlt oder freigestellt werden.

Maike Hagemann-Schilling: Meine These dazu ist: Betriebsrät*innen leisten gute und engagierte Arbeit. Sie sind Ansprechpartner*innen für viele Belange, persönlicher und betrieblicher Art, sie stehen im Feuer und müssen Kritik aushalten. Konfliktfähigkeit und gleichzeitig alle im Blick zu haben, sind besondere Fähigkeiten. Das sind auch „traditionelle weibliche“ Stärken, die wir besonders in den sogenannten SAGE-Berufen vorfinden: Wir engagieren uns, ggf. auch über das Maß hinaus. Es ist ein Spiegelbild der gesellschaftlichen Entwicklung, dass mehr Frauen in den Gremien sind.

Kathleen Schulze:

Es gibt inzwischen viel mehr Frauen in der Arbeitswelt und in den Gremien. Dadurch haben sich die Themen in den Betrieben gewandelt und Frauen geraten mehr in den Fokus. So wird z.B. beim Thema Transformation auch die Carearbeit stärker mitbedacht.

 

Haben sich die Anforderungen an Betriebsräte*innen verändert?

Angelika Kähler: Die Betriebsratsarbeit ist fachlich komplexer geworden! Welche Möglichkeiten und Anforderungen bestehen, hängt von der Größe des Betriebsrates, der Organisationsstruktur, der Arbeitsteilung und von der Anbindung zu gewerkschaftlicher Fortbildung ab. Es braucht eine hohe Bereitschaft, sich in diesem gewählten Ehrenamt weiter zu qualifizieren.

Heike Riemann: Allein einen Gesetzestext zu kennen, reicht nicht. Beispiel Digitalisierung: Da braucht es umfassenderes Wissen um Anknüpfungspunkte zu erkennen und Fragestellungen entwickeln zu können.

Maike Hagemann-Schilling:

Gerade findet auch ein Generationenwechsel in den Gremien statt. Wichtig ist der Wissenstransfer von denen, die die Arbeit bereits seit 10 Jahren machen und die sozialen Beziehungen innerhalb des betrieblichen Gefüges gut kennen. Das weiß man als Youngster nicht, da muss man reinwachsen.

Kathleen Schulze: Ich kann das alles aus meiner eigenen Sicht als Mitarbeitervertretung in der Nordkirche bestätigen. Ständig gibt es neue Bestimmungen im Datenschutz und neue Computerprogramme usw. Ich beobachte auch, dass die persönlichen Empfindlichkeiten zugenommen haben. Wir werden bspw. als MAV häufiger zu Dienstgesprächen dazu gebeten. Das hat keine rechtlichen Hintergründe, sondern zwischenmenschliche. Das hat während und nach der Corona-Zeit eindeutig zugenommen.

 

Was ist Euer Geheimrezept?

Heike: Wir vier haben vor unserer Tätigkeit im KDA alle in Unternehmen der freien Wirtschaft gearbeitet. Das spielt, glaube ich, eine wichtigere Rolle als die, dass wir Frauen sind. Wir bringen auch Erfahrungen aus eigenem Erleben mit, was Interessensvertretung heißt und wissen die Herausforderungen für die Arbeit der Betriebsrät*innen gut einzuschätzen. Hinzukommt: Wir haben ein aufrichtiges Interesse an den Menschen, auf die wir zugehen. Und wir haben als Kirche ein eigenes super Netzwerk. Es gibt keinen Ort, Straße, Betrieb, der nicht einer Gemeinde zugeordnet ist. Wie gut, wenn es darum geht, Menschen z.B. bei einer betrieblichen Krise zu erreichen. Manchmal braucht es einfach nur einen in der Nähe gelegenen Raum zum Treffen.

Kathleen Schulze: Unsere Arbeit als Team. Zwischen uns funktioniert es einfach gut, wir können uns aufeinander verlassen, ergänzen uns und das merken die Partner*innen auch.

Was macht Eure Arbeit innerhalb der Kirche besonders?

Maike Hagemann-Schilling:

Die positive Rückmeldung von Menschen, die kaum oder gar nicht in der Kirche verwurzelt sind. Wenn ich zum 1. Mai als Vertreterin der Kirche auf dem Podium stehe, sagen mir Menschen, dass wir damit genau ihr Verständnis von moderner Kirche treffen, dass wir sie abholen bei ihren eigenen Themen, wie z.B. ihren arbeitsweltlichen Problemen.

Angelika Kähler: Wenn ein Betriebsrat sagt, er sei Atheist, antworte ich: „Das macht nichts. Lass uns mal schauen, wo wir thematisch zusammenkommen.“ Mit dieser pragmatischen Einstellung konnte ich oft das Eis brechen.

Heike Riemann: Ich erlebe Kirche tatsächlich als Netzwerk – wie gut allein schon bei der Größe der Nordkirche.

 

Nehmt uns mit: Was sind die Themen 2023?

Heike Riemann: Als Oberthema für 2023 schält sich heraus: Der Arbeitskräftemangel mit all seinen Facetten. Da wird es um die Zufriedenheit von Mitarbeitenden im Betrieb gehen, um Maßnahmen, um möglichst lange gesund arbeiten zu können, um die Inklusion ausländischer Arbeitnehmender, um Fort- und Weiterbildung oder um Automatisierung.

Angelika Kähler: Das Thema Arbeitszeitverkürzung ist ebenfalls aktuell. Wenn wir junge Leute fragen, dann wollen die nicht mehr so „bescheuert lange“ arbeiten wie ihre Eltern. Sie wollen eine bessere Balance zwischen Erwerbsarbeit und Leben. Diese alten Themen kommen wieder neu auf den Tisch.

Kathleen Schulze: Strategisch wollen wir unsere Arbeit auch in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern in den nächsten Jahren weiter ausbauen.

Maike Hagemann-Schilling: Der Transformationsprozess findet jetzt statt. Die Themen dazu werden in den Betrieben gelebt. Wir sind aktuell da, wo dies stattfindet. Vielleicht müssen wir dazu auch zukünftig für einzelne Branchen etwas anbieten, statt wie üblich branchenübergreifend. Ich denke da an Formate nur mit Betriebsrät*innen aus Kliniken.

 

 

Maike Hagemann-Schilling, Angelika Kähler, Heike Riemann und Kathleen Schulze arbeiten als Referentinnen für den KDA der Nordkirche. Mehr Informationen unter: https://www.kda-nordkirche.de/

Das Gespräch führten Annelies Bruhne (KWA) und Nina Golf (kda Bayern).