Andacht – „Immer ich!” Von Rollenerwartungen und Gerechtigkeit

31.05.2023 | „Immer ich!”
Von Rollenerwartungen und Gerechtigkeit

Maria und Marta bekommen Besuch von Jesus und seinen Jüngern (Lukas 10,38-42). Während Marta sich darum kümmert, es den Gästen behaglich zu machen, setzt sich Maria zu Jesus und hört ihm zu.

Schon die Schilderung dieser Szene lässt mich an die Comics von Emma [Link: https://krautreporter.de/1983-du-hattest-doch-bloss-fragen-mussen]  denken. Emma beschreibt das Ungleichgewicht im Erledigen von Sorgearbeit als „Mental Load“.

Im Alltag und auch in unserem biblischen Beispiel zeigt sich, dass Rollenerwartungen Bestandteil von vielen Beziehungen sind – in Familien, aber auch im Beruf. Einige Menschen übernehmen scheinbar selbstverständlich die „unsichtbaren“ Aufgaben des Alltags. Sie sorgen dafür, dass das Geschirr rechtzeitig gereinigt wurde um den Tisch zu decken, der wackelnde Stuhl repariert wurde und schließlich Essen auf dem Tisch ist.

Sichtbar wird das im Gender Care Gap, also der Lücke, die sich auftut, wenn wir danach schauen, wie viel Zeit Frauen durchschnittlich mehr auf Sorgearbeit verwenden als Männer. Der unsichtbare Ausdruck dieser Rollenverteilung ist Frustration, Überlastung bis hin zum Burnout.

Immer mehr Frauen erkennen die Auswirkungen des Gender Care Gap auf ihr persönliches Leben, auf ihre Gesundheit und auf ihre Karrierechancen. Forderungen nach einer gerechteren Verteilung von Sorgearbeit, Zeitressourcen und einer dafür notwendigen Infrastruktur werden lauter. Es ist klar, dass es gesellschaftliche Lösungen für dieses Problem braucht und individuelles Loslassen von Perfektionsansprüchen nur ein winziger Baustein dazu sein kann.

Auch Marta ist nicht zufrieden mit ihrer Rolle. Sie ist frustriert von der Situation und will sie nicht länger hinnehmen. Sie wendet sich an Jesus mit der Bitte, der Schwester auszurichten, dass sie ihr helfen solle. Jesus sieht die Mühen von Marta und erkennt sie an, aber er würdigt auch die Entscheidung von Maria. Sie habe die richtige, ja bessere Entscheidung getroffen, sich zu ihm zu setzen und zu lernen.

Damit endet die Geschichte, die übrigens nicht aufgelöst oder befriedet wird.

Hilft es Marta in ihrer Überlastung, gesehen zu werden, aber keine Unterstützung zu bekommen? Stößt es sie nicht vor den Kopf, dass Maria für ihre Entscheidung gelobt wird?

Maria hat ihre Rolle bei Jesus Besuch auf ihre eigene Weise interpretiert. Sie hat sich entschieden, ihm zuzuhören und zu lernen.

Vielleicht soll uns das daran erinnern, dass wir die Freiheit haben, Gelegenheiten für persönliche Entwicklung oder Fürsorge zu nutzen, wenn sie sich uns bieten, egal was gesellschaftlich von uns erwartet wird.

Und Marta? Es ist nicht leicht, sich von Rollenerwartungen frei zu machen, besonders wenn das Verantwortungsgefühl gegenüber den Mitmenschen schwer wiegt.

Marta hat die ungerechte Verteilung der Sorgearbeit wahrgenommen, hat sie benannt und ist in den Dialog gegangen. Ein erster wichtiger Schritt auf dem langen Weg zu mehr Gerechtigkeit!

Und wer weiß, wem sie beim nächsten Besuch den Kochlöffel in die Hand gedrückt hat?

 

Sonja Borski ist Leiterin des KDA der Bremischen Evangelischen Kirche
(Link:: https://www.kirche-bremen.de/kirche-in-bremen/landeskirche/forum-kirche/kirchlicher-dienst-arbeitswelt-kda/)

Kontakt: sonja.borski@kirche-bremen.de

Dies ist eine Andacht zum Frauenmonat März 2023 mit dem Schwerpunkt: „Gott sieht mich und meine Arbeit“.

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