Ist Wirtschaftswachstum gut oder schlecht?
Die Antwort darauf fällt oft sehr unterschiedlich aus und hängt im Allgemeinen davon ab, in welcher gesellschaftlichen Blase man unterwegs ist. Umweltverbände und Kirchen sind eher wachstumskritisch, für Wirtschaftsverbände und Unternehmensvertreter ist ein angemessenes Wachstum dagegen die Grundlage jeglichen ökonomischen Handelns.
Wer hat nun recht? Wenn beide Sichtweisen gut begründbar sind, liegt die Antwort oft in einem „sowohl als auch“. Ein paar Anregungen wie beide Sichtweisen zu einer sinnvollen Strategie kombiniert werden können, finden Sie in unserer Wortmeldung.
Wir wünschen Ihnen eine anregende Lektüre und eine gesegnete Zeit.
Ein Beitrag von Dr. Axel Braßler. Die Wortmeldungen werden monatlich von der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannovers herausgegeben.
Wortmeldung Juni 2024:
Ist Wirtschaftswachstum gut oder schlecht?
Wenn die Wirtschaft nicht wächst, wird selbst ein grüner Wirtschaftsminister nervös. Gute Nachrichten aus der Wirtschaft beruhigen die Gemüter. Wenn das Bruttoinlandsprodukt (BIP) steigt, scheint die Welt in Ordnung und unser Wohlstand gesichert zu sein. Falsch ist das nicht.
Wirtschaftswachstum
- führt zu mehr Beschäftigung und senkt die Arbeitslosigkeit,
- dient der Finanzierung unserer sozialen Sicherungssysteme,
- ermöglicht Investitionen in Infrastruktur und Umweltschutz,
- erleichtert die Finanzierung und Tilgung von Staatsschulden und
- ist ein wichtiger Motor für technischen Fortschritt.
Bedauerlicherweise hat uns dieses Paradigma in eine Sackgasse geführt. Aus ökologischer Sicht befindet sich die Welt in einer verzweifelten Lage. Die planetarischen Belastungsgrenzen sind weit überschritten. Der Earth Overshoot Day rückt immer weiter in die Mitte des Jahres. An diesem Tag hat die Menschheit alle natürlichen Ressourcen, die die Erde für dieses Jahr zur Verfügung stellt, aufgebraucht. Für unseren Lebensstandard benötigen wir mehr als zwei Planeten. So kann es definitiv nicht weitergehen und das ist den meisten auch bewusst.
Es stellt sich daher die berechtigte Frage, ob unter diesen Vorzeichen Wirtschaftswachstum überhaupt noch ein erstrebenswertes Ziel ist. Angesichts der Klimakatastrophe sollten wir wohl eher über Suffizienz und Degrowth-Ansätze (Schrumpfung) nachdenken.
Ob Wirtschaftswachstum gut oder schlecht ist, lässt sich wie so oft im Leben mit einem „es kommt darauf an“ beantworten. In vielen Sektoren benötigen wir nach wie vor Wachstum und vor allem auch die damit verbundene Technologie- und Innovationsdynamik, z. B. beim Ausbau erneuerbarer Energien, im Hinblick auf Elektromobilität oder bei der Entwicklung des Öffentlichen Nahverkehrs. In anderen Bereichen bedarf es dagegen eines Rückbaus und ganz bestimmt kein Wachstum – denken wir nur an Kohleverstromung oder Ölheizungen. Zielführend ist also immer der richtige Strategiemix.
Wirtschaftswachstum ist in einer sozialen Marktwirtschaft gut, wenn es sich in den richtigen Sektoren und innerhalb der planetarischen Grenzen vollzieht. Diese sind unverrückbar und rechtlich zu sichern, beispielsweise über ein Ressourcenschutzgesetz. Ein solches Gesetz würde tief in unsere Lebensgewohnheiten und Wirtschaftsabläufe eingreifen. Es ist aber notwendig, um nicht mehr zu beanspruchen als uns zusteht. Denn: Es gibt kein ethisches Argument, um auf Kosten anderer zu leben.
Die Wortmeldung Juni 2024 als PDF-Dokument.