Neue Grundsicherung auf dem Prüfstand: Diakonie und Nationale Armutskonferenz warnen vor sozialen Folgen

Die von der Bundesregierung beschlossene Neuausrichtung der Grundsicherung stößt bei sozialen Verbänden auf deutliche Kritik. Insbesondere die geplante Verschärfung von Sanktionen, Einschnitte bei Unterstützungsleistungen und Risiken für existenzielle Sicherheit werfen grundlegende Fragen nach sozialer Gerechtigkeit, Solidarität und gesellschaftlichem Zusammenhalt auf.

Für den Evangelischen Verband Kirche-Wirtschaft-Arbeitswelt (KWA) berühren diese Entwicklungen zentrale Anliegen unserer Arbeit an der Schnittstelle von Arbeit, sozialer Sicherung und Teilhabe. Als kirchlicher Akteur bringen wir sozialethische Perspektiven in arbeits- und sozialpolitische Debatten ein. Dabei sind die Einschätzungen von Diakonie Deutschland und der Nationalen Armutskonferenz wichtige Orientierungspunkte. Beide Einschätzungen stellen wir Ihnen hier zur Verfügung:

Diakonie Deutschland zur neuen Grundsicherung: Zurück in die Hartz-IV-Logik

Die Diakonie Deutschland warnt vor harten Einschnitten durch den für heute geplanten Kabinettsbeschluss zur neuen Grundsicherung. Anstatt Menschen besser dabei zu helfen, wieder in Arbeit zu kommen, setzt der Staat vor allem auf Sanktionen und riskiert damit soziale Notlagen.

Rüdiger Schuch, Präsident der Diakonie Deutschland: „Mit der neuen Grundsicherung kehrt die Bundesregierung zu einem Sanktionsregime zurück, das wir mit dem Ende von Hartz IV eigentlich hinter uns lassen wollten. Statt den Druck zu erhöhen, sollte die Regierung die Jobcenter so ausstatten, dass sie Menschen durch gute und wirksame Beratung, Förderung und Vermittlung langfristig in Arbeit bringen können.“

Schuch warnt zugleich vor den Folgen für besonders verletzliche Gruppen: „Sanktionen treffen nicht selten Menschen in existenziell belastenden Lebenslagen – etwa mit psychischen Problemen. Gerade sie scheitern oft an starren Fristen und formalen Nachweispflichten. Ihnen droht durch die neuen Regelungen schlimmstenfalls sogar die Wohnungslosigkeit. Auch für viele Familien spitzt sich die finanzielle Lage weiter zu. Denn schon heute müssen viele Leistungsberechtigte einen Teil ihrer Miete selbst aus dem Regelsatz bestreiten. Werden sie zusätzlich sanktioniert, fehlt das Geld nicht nur für die Miete, sondern auch für die Kinder im Haushalt.“

Existenzsicherung weiter denken – Diskussionspapier der Diakonie Deutschland

Auch die Nationale Armutskonferenz äußert scharfe Kritik an dem Kabinettsbeschluss zur neuen Grundsicherung. Sie warnt vor einer Entsolidarisierung, vor wachsender Wohnungslosigkeit und vor gravierenden Folgen für ganze Bedarfsgemeinschaften – insbesondere für Kinder und Jugendliche. Aus ihrer Sicht werden Verantwortung und Schuld für Armut einseitig auf die Betroffenen verlagert.

Nationale Armutskonferenz zum Kabinettsbeschluss „neue Grundsicherung“: Diese Entsolidarisierung ist nicht hinnehmbar

Durch die neue Grundsicherung sollen Kosten eingespart werden, indem Hilfen gegen Armut gekürzt werden. Diese Entsolidarisierung ist nicht hinnehmbar und zerstört Vertrauen in die Demokratie. Soziale Sicherheit schützt dagegen vor wachsendem Extremismus.

Durch die neue Grundsicherung droht Wohnungslosigkeit. Die Deckelung der Mietkosten auf das 1,5fache des örtlichen Mietspiegels ist unrealistisch. Ein bedeutender Anteil der Grundsicherungsbeziehenden zahlt bereits jetzt aus dem Regelsatz einen ergänzenden Betrag zu den Mietkosten. Das ist die Folge davon, dass es kaum bezahlbaren Wohnraum gibt, der als angemessen gilt. Im Falle einer Sanktionierung bleibt dieser Mietanteil offen. Nach den Plänen der Bundesregierung sollen Vermietende zukünftig noch enger mit den Jobcentern zusammenarbeiten und regelmäßig Auskünfte erteilen. Dies macht es deutlich unattraktiver, an SGB II-Leistungsbeziehende zu vermieten. Nicht zumutbar ist, dass Leistungsbeziehende zukünftig selbst den Rechtsweg beschreiten müssen, um die Mietpreisbremse durchzusetzen. Hier wird den am stärksten benachteiligten Personen die Pflicht auferlegt, sich allein gegen deutlich Stärkere durchsetzen zu müssen.

Der Füllstand des Kühlschrankes ist für die ganze Bedarfsgemeinschaft bei Sanktionen niedrig. Wenn ein Mensch sanktioniert wird, ist die ganze Bedarfsgemeinschaft von existentiellem Mangel bis zu Hunger bedroht. Kinder und Jugendliche sind besonders von Sanktionen in ihrer Familie betroffen.

Die neue Grundsicherung kehrt die Verantwortung um:

Nicht die Gesellschaft und die politischen Entscheidungsträger*innen übernehmen die Verantwortung für sozialen Ausgleich. Die Schuld an Armutslagen wird einseitig den betroffenen Menschen zugeschoben.

Download: https://www.nationale-armutskonferenz.de/2025/12/17/erklaerung-der-nationalen-armutskonferenz-zum-kabinettsbeschluss-neue-grundsicherung/

Nationale Armutskonferenz – Neue Grundsicherung Erklärung

Die Stellungnahmen machen deutlich, dass die geplante neue Grundsicherung aus Sicht sozialer Verbände erhebliche Risiken birgt. Für den KWA bleibt es eine zentrale Aufgabe, diese Entwicklungen kritisch zu begleiten und die Perspektive von Menschen in prekären Lebens- und Arbeitslagen in Kirche und Öffentlichkeit einzubringen.

Kontakte:
Pressesprecherin der Diakonie: Kathrin Klinkusch, kathrin.klinkusch@diakonie.de
Koordinierungskreis der Nationalen Armutskonferenz: Michael David, Renate Antonie Krause, Monja Ben Messaoud, Jürgen Schneider, armutskonferenz@diakonie.de

Ein Beitrag von: Angela Haubrich, KWA-Öffentlichkeitsarbeit, a.haubrich@kwa-ekd.de