Theologische Impulse zum Motto des 1. Mai 2024

Kirchlicher Dienst in der Arbeitswelt der Nordkirche

Grafik zum diesjährigen Motto des DGB

Theologische Impulse zum Motto

  1. a) Die theologische Bedeutung der Arbeit

Für kirchliche Träger ist der 1. Mai ein guter Anlass, über die Bedeutung der Arbeit nachzudenken und wie sie zu Gerechtigkeit und Solidarität beitragen kann.

In der christlichen Tradition gilt Arbeit als heilig, weil wir unsere Gaben zum Wohl anderer einsetzen können. Aus der Schöpfungserzähliung in Genesis 2 wird überliefert, dass der Mensch dazu berufen sei, die Erde zu bebauen und zu bewahren (Genesis 2,15). Arbeit ist also demnach nicht nur ein Mittel zum Lebensunterhalt, sondern auch eine Möglichkeit, an Gottes schöpferischem Wirken teilzuhaben. Gerade Langzeitarbeitslose erleben oft ein Defizit an diesem schöpferischen Erlebnisfeld.

Martin Luther sah Arbeit als zentrale Aufgabe und Tugend für die Menschen seiner Zeit an. Er gab der täglichen Arbeit eine theologische Fundierung und betonte, dass sie nicht nur eine lästige Pflicht sei, sondern auch eine Form des Dienstes an Gott. Luther vermittelte seinen Zeitgenossen damit auch ein neues Verständnis von Arbeit als Gottesdienst.

Dabei war es für Luther unerheblich, welchen Beruf man ausübte. Er betonte vor allem die Gleichwertigkeit der Berufe und ermutigte dazu, jeden Beruf in Verantwortung vor Gott auszuüben. Luther rügte in seinen Texten besonders die Mönche seiner Zeit, die sich für etwas Besonderes hielten (Quelle u.a.: https://relilex.de/martin-luther-und-arbeit/).

Die Bibel zeigt uns jedoch auch die Grenzen der Arbeit auf. Im Buch Kohelet (Prediger) 4 wird über den Sinn und Unsinn der Arbeit gesprochen und die damit verbundene Konkurrenz. Es wird gesagt, dass Menschen oft hart arbeiten, um Erfolg zu haben und andere zu übertreffen. Dies sei letztlich vergebliche Mühe. Auch wird die Bedeutung von Ruhe und Zufriedenheit betont, die nicht unbedingt mit großem Besitz einhergehen müssen.

Zudem kann der Arbeitsbegriff differenzierter betrachtet werden, wenn nicht nur Lohnarbeit, sondern auch Fürsorgearbeit und ehrenamtliche Tätigkeiten einbezogen werden. All diese Formen der Arbeit haben ihren Wert und tragen zur Gestaltung einer gerechteren und solidarischeren Gesellschaft bei.

Texte und Zitate:

„Wer treulich arbeitet, der betet zwiefältig. Aus dem Grunde, dass ein gläubiger Mensch in seiner Arbeit Gott fürchtet und ehret und an seine Gebote denkt.“ (Martin Luther, https://www.gutzitiert.de/zitat_autor_martin_luther_thema_arbeit_zitat_4367.html)

 

Kohelet/Prediger 4,4-8: „4 Nun weiß ich, warum die Menschen so hart arbeiten und so viel Erfolg haben: Sie tun es nur, um die anderen in den Schatten zu stellen! Auch das ist vergebliche Mühe – so als wollten sie den Wind einfangen. 5 Zwar sagt man: »Der dumme Faulpelz legt die Hände in den Schoß und verhungert«, 6 ich aber meine: Besser nur eine Handvoll besitzen und Ruhe genießen als viel Besitz haben und alle Hände voll zu tun. Denn im Grunde lohnt sich das ja nicht. 7 Noch etwas habe ich auf dieser Welt beobachtet, das mir sinnlos erscheint: 8 Manch einer lebt völlig allein und hat weder Kinder noch Geschwister. Trotzdem arbeitet er ohne Ende und ist nie zufrieden mit seinem Besitz. Aber für wen mühe ich mich dann ab und gönne mir nichts Gutes mehr? Das ist doch unsinnig, so vergeudet man nur seine Zeit!“ (Bibelübersetzung ‚Hoffnung für alle‘)

  1. b) Mehr Lohn

Die Trias „Mehr Lohn. Mehr Freizeit. Mehr Sicherheit“ wirkt spontan wie ein Gegensatz zur Idee einer bescheidenen Lebensführung und des Verzichts auf übermäßigen Konsum, wie sie etwa in der biblischen Aussage „Soviel du brauchst“ (2. Mose 16,18) zum Ausdruck kommt. Während letzterer Vers etwa im Rahmen des 34. Deutschen Kirchentags 2012 thematisiert wurde, rückt die Trias „Mehr Lohn. Mehr Freizeit. Mehr Sicherheit“ die grundlegenden Bedürfnisse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Mittelpunkt und stärkt die Forderung nach gerechten Arbeitsbedingungen.

Beim Thema „Mehr Lohn“ geht es also nicht nur um individuelle Bedürfnisse, sondern um Gerechtigkeit und Solidarität in unserer Gesellschaft. Die biblische Tradition erinnert uns daran, diejenigen fair zu entlohnen, die für uns arbeiten (5. Mose 24,14-15). Durch gerechte Löhne zeigen wir Wertschätzung für die Arbeit anderer Menschen – auch wenn sie außerhalb unseres direkten Blickfelds liegen – und ermöglichen ihnen, ein würdevolles Leben zu führen. Ein gesellschaftlicher Aufruf zum Streik für „Mehr Lohn“ stärkt auch das Selbstbewusstsein der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, deren Rechte sonst möglicherweise nicht ausreichend respektiert würden. Gerechte Löhne sind somit nicht nur ein wichtiger Faktor für die individuelle Lebensqualität, sondern auch für den sozialen Frieden und die Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft.

In diesem Zusammenhang ist die politische Kontroverse um den Mindestlohn von besonderer Relevanz. Während die EU-Empfehlung einen Mindestlohn von 14 Euro vorsieht, liegt er in der Bundesrepublik Deutschland derzeit bei lediglich 12,50 Euro. Die Diskussion über den Mindestlohn und die Streiks in Branchen wie der Bahn und den Nahverkehrsverbänden haben in den letzten Monaten in Deutschland sowohl viel Verständnis als auch unterschiedliche Reaktionen hervorgerufen.

Texte und Zitate:

  1. Mose 24,14f.: Dem Tagelöhner, der bedürftig und arm ist, sollst du seinen Lohn nicht vorenthalten, er sei von deinen Brüdern und Fremdlingen, die in deinem Land und in deinen Städten sind, sondern du sollst ihm seinen Lohn am selben Tage geben, dass die Sonne nicht darüber untergehe – denn er ist bedürftig und verlangt danach

  2. c) Mehr Freizeit

Der technologische Fortschritt und die Digitalisierung verändern zunehmend Berufsbilder und ermöglichen neue, flexible Arbeitsweisen. Insbesondere die Covid-19-Pandemie hat diese Entwicklung durch die verstärkte Nutzung von mobilem Arbeiten beschleunigt. Diese Entwicklung birgt sowohl Chancen als auch Risiken: Einerseits bieten flexible Arbeitsmodelle mehr Freiheit und Selbstbestimmung, andererseits führen sie dazu, dass Arbeit vermehrt in den privaten Raum dringt. Arbeitnehmer*innen stehen unter dem Druck, ständig erreichbar zu sein, was eine angemessene Erholung und Regeneration erschweren und zu Stress sowie psychischen Belastungen führen kann, die wiederum die Leistungsfähigkeit beeinträchtigen.

Um sicherzustellen, dass die Verantwortung für die notwendige Abgrenzung von Arbeit und Freizeit nicht allein den Einzelnen überlassen wird, bedarf es einer Begrenzung seitens der Arbeitgeber*innen und eines entsprechenden gesetzlichen Rahmens. Ein Beispiel hierfür ist der Tarifstreit bei der Bahn im Januar 2024, bei dem es auch um mehr Verlässlichkeit und Planbarkeit in der Arbeits- und Freizeitgestaltung ging.

Sowohl Kirchen als auch Gewerkschaften setzen sich für kollektive und gemeinschaftliche Freizeit ein. Eine theologische Grundlage hierfür bietet das Gebot der Sabbatheiligung, das verschiedene sozial und ökologisch positive Aspekte beinhaltet. Im Buch 2. Mose 23,12 heißt es: „Sechs Tage sollst du deine Arbeit tun; aber am siebenten Tage sollst du ruhen, auf dass dein Rind und Esel sich ausruhen und deiner Sklavin Sohn und der Fremdling sich erquicken.“ Obwohl dieser Vers in sehr anderen gesellschaftlichen Verhältnissen verfasst wurde, behält er seine Relevanz für die Bedeutung von Ruhe und Erholung bei. „Mehr Freizeit“ bedeutet aber nicht nur mehr Zeit für uns selbst, sondern auch mehr Zeit für Begegnung mit Gott und unseren Mitmenschen. Auch demokratisches Engagement, Care-Arbeit und Ehrenamt wären ohne Sonntags- und Freizeitschutz nicht denkbar.

Der Kirchliche Dienst in der Arbeitswelt befürwortet daher auch in dieser Traditions- und Argumentationslinie eine 4-Tage-Woche. Diese ermöglicht bei vollem Lohnausgleich eine ausgewogene Work-Life-Balance, ohne dabei die Produktivität zu beeinträchtigen.

Texte und Zitate:

„Die Feiertagsruhe ist das sichtbare Zeichen dafür, dass der Mensch aus der Gnade Gottes und nicht aus seinen Werken lebt.“ (Dietrich Bonhoeffer)

„Freiräume, das sind Ritzen des Heiliges Geistes. Viel Platz braucht er oft gar nicht. Aber im Vakuum versiegelter Termin-, Struktur- und Arbeitspläne hat er wenig Chancen.“ (Petra Bahr, Regionalbischöfin für den Sprengel Hannover)

„Was immer einen direkt betrifft, betrifft indirekt alle. Wir sind dafür geschaffen, zusammenzuleben… Hast du dir je darüber Gedanken gemacht, dass du des Morgens nicht zur Arbeit gehen kannst, ohne vom größten Teil der Welt abhängig zu sein?“ (Martin Luther King)

„Wenn alles dem Ziel der Profitmaximierung untergeordnet wird, bleibt für Auszeiten, für nicht definierte, nicht zweckgebundene Mußezeiten keine Zeit – jeder Moment muss genutzt werden, um gesetzte Ziele mit maximaler Effektivität zu erreichen.“ (Reinhard Spieler, Direktor des Sprengel Museums Hannover)

  1. d) Mehr Sicherheit

Bei all den sozialen und ökologischen Krisen unserer Zeit ist das Streben nach Arbeitsplatzsicherheit für viele von enormer Bedeutung. Doch „Mehr Sicherheit“ bedeutet nicht nur die Gewissheit eines festen Arbeitsplatzes, sondern auch eine verbesserte Arbeitssicherheit. Ein tragisches Beispiel hierfür ereignete sich Ende Oktober 2023 in der Hamburger Hafencity, als ein Baugerüst einstürzte und fünf Menschen ihr Leben verloren. Bereits bei vorherigen Kontrollen wurden Mängel im Arbeitsschutz aufgedeckt, was auf die dringende Notwendigkeit hinweist, Sicherheitsstandards zu verbessern und die Einhaltung dieser Standards strenger zu überwachen.

Sicherheit am Arbeitsplatz ist jedoch nicht nur eine Frage der physischen Sicherheit, sondern auch ein zentrales Anliegen in Bezug auf die Würde und das Wohlergehen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Die biblische Botschaft ermutigt uns dazu, uns für Gerechtigkeit einzusetzen und die Schwachen zu schützen (Sprüche 31,8-9).

Als Christinnen und Christen sind wir daher aufgerufen, uns solidarisch zu zeigen und uns für die Rechte derjenigen einzusetzen, die am Arbeitsplatz gefährdet sind, sei es durch mangelnde Arbeitssicherheit, Diskriminierung oder Ausbeutung. Nur durch gemeinsame Anstrengungen können wir eine Arbeitsumgebung schaffen, die für alle sicher und gerecht ist.

Texte und Zitate:

„Tu deinen Mund auf für die Stummen und für die Sache aller, die verlassen sind. Tu deinen Mund auf und richte in Gerechtigkeit und schaffe Recht dem Elenden und Armen.“ (Sprüche 31,8f.)

  1. e) Arbeit, Lohn und Freizeit in der Popmusik: Eine alternative Playlist

Für den Fall, dass Sie mal über das Evangelische Gesangbuch hinaus nach musikalischer Inspiration zum Thema Arbeit, Lohn und Freizeit suchen möchten, haben wir einige Popsongs aus verschiedenen Jahrzehnten zusammengestellt:

Gunter Gabriel – Hey Boss, ich brauche mehr Geld (1974)

Geier Sturzflug – Bruttosozialprodukt (1983)

Donna Summer – She works hard for the money (1983)

Helge Schneider – Wurstfachverkäuferin (2007)

Deichkind – Arbeit nervt (2009)

Britney Spears – Workbitch (2013)

Kraftklub – Sklave (2017)

Dendemann – Menschine (2019)

MPC Lafote – Blick aufs Konto (2023)

Viel Spaß beim Hören!

Ein Beitrag von Dr. Constantin Gröhn, constantin.groehn@kda.nordkirche.de
KDA der Nordkirche