In drei Wochen ist die Bundestagswahl und die Stimmung wird nach den letzten Entscheidungen im Bundestag immer aufgeheizter. Nur noch eine knappe Zeit, sich zu entscheiden, für was man steht und wen man wählt. Für Christinnen und Christen steht das Jahr unter einer biblischen Losung, die wie geschaffen ist für Wahlen: „Prüft alles und behaltet das Gute“ (1. Thessalonicher 5,1). Aber: Was ist das Gute? Um das Gute zu finden, muss man das Schlechte ausschließen. Als Hauptverantwortlicher des Kirchlichen Dienstes in der Arbeitswelt für unsere Landeskirche versuche ich den Blick auf das Wirtschaftsprogramm der AfD. Warum der Blick nur auf die AfD? Weil sie für mich eine Alternative aufzeigt, die nicht ins gemeinsame Gute führt.
Die Wirtschaftsfrage dieser Woche:
Wie hält das soziale Netz noch?
Krankheit, Erwerbslosigkeit, Pflegebedürftigkeit, Alter – das alles sind Lebenslagen, in denen Menschen sich wiederfinden können. Aufgabe der Gemeinschaft, des Staates und der Politik ist es, Menschen in solchen Lebenslagen und Nöten nicht alleine zu lassen, ihrer Eigenverantwortung zu achten und sie zu unterstützen. Das soziale Netz besteht aus zwei Grundsäulen: Pflichtversicherungen und staatliche Absicherungen. Beide leben von der gemeinsamen Erwirtschaftung und Verteilung von Leistungen, haben bestimmte Kriterien der Anwendung (z.B. Gleichbehandlung, Prüfung der Bedürftigkeit, Trennung von Wirtschafts- und Sozialpolitik).
Im Hintergrund der Sozial-, Renten- und auch Gesundheitspolitik der AfD steht (wieder) das Bild eines Menschen, der im möglichst freien Spiel der (Markt-)Kräfte auf eigenen Beinen steht, aus eigener Kraft lebt und selbstbestimmt entscheidet, möglichst frei von Eingriffen von außen.
Solche Menschen sind Ziel der AfD; deswegen: aktivierende Grundsicherung. Passive, leidende Menschen sind nur der Ausnahmefall. Sich als Gemeinwesen organisiert gegenseitig zu versichern und zu unterstützen, weil Notlagen und Wechselfälle des Lebens immer zum Menschsein gehören, kommt der AfD nicht richtig in den Blick. Für die AfD fallen Menschen in Notlagen den anderen und irgendwie allen zur Last. Und wer eine Belastung für eine Gemeinschaft und für Einzelne, für die Kassen und die Wirtschaft ist, der muss eigentlich weg. Die Gesellschaft, das Gesundheitssystem – so die AfD – muss v.a. eines: Funktionieren.
Es stimmt leider: Es ist sehr schwierig die, die in Notlagen sind, als „vollständige“ Menschen wahrzunehmen, nicht in ihrem Defizit: ohne Gesundheit, ohne Arbeit, ohne Jugendlichkeit, ohne Beweglichkeit, ohne Kraft. So werden sie oft v.a. als Herausforderung begriffen, als Belastung, und die möchte man „weghaben“. Menschen in Notlagen sind eine auch Herausforderung, sie drängen uns zu Antworten in Tat und Wort; sie machen uns manchmal ratlos und ohnmächtig, aber sie sind keine „Betriebsunfälle“ in einer reibungslos funktionierenden Gesellschaft. Eine Gesellschaft funktioniert für mich dort, wo Notlagen, Abgründe, Schwieriges ins Leben einbezogen wird, wo Not ein Teil des Lebens ist, wo wir wissen, wir kommen auch in solche Lagen und sind froh und dankbar, dann als keine Last empfinden zu werden, wo wir ohne zu hinterfragen solidarisch sind, weil Leben immer nur geteiltes Leben ist.
Jetzt, wo Mehrheiten mit der AfD einmal/zweimal wirklich und damit wirklich möglich sind, mutet der Vers für diese Woche aus der Bibel fast zynisch an: „Über dir geht auf der HERR, und seine Herrlichkeit erscheint über dir.“ (Jesaja 60,2). Würden wir aber diese geschenkte Herrlichkeit als faktischer Bestandteil eines jeden Lebens sehen, dann müssten wir mit „dunkel-blauen Mächten“ nicht den Pakt suchen. Behinderte, Erwerbslose, Kranke, Alte, Pflegebedürftige, Schwache – sie sind alle herrlich. Da gibt es kein Versehen und keinen Abzug. Sie sind herrlich wie du und ich. Es bedarf der gemeinsamen Arbeit, das bei allen Verdunkelungen, die das Leben bringt, aufrechtzuhalten.
Vor der Bundestagswahl veröffentlichen wir wöchentlich eine Meinungsäußerung zu bestimmten Themen der Wirtschaftspolitik der AfD. Diese Beiträge stammen von
Pfarrer Dr. Jochen Kunath
Leiter Kirchlicher Dienst in der Arbeitswelt (KDA) Baden
Studienleiter Wirtschaft und Arbeitswelt in der Evangelischen Akademie Baden
jochen.kunath@ekiba.de
und werden jeweils dienstags veröffentlicht.