4-Tage-Woche trotz Fachkräftemangel – aber bitte sehr!
Derzeit klagen viele Firmen über einen Fachkräfte- bzw. Arbeitskräftemangel. Gleichzeitig wünscht sich die Mehrheit der Arbeitnehmer*innen schon länger eine Verkürzung ihrer Arbeitszeit, so zum Beispiel das Ergebnis umfangreicher Befragungen der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin zu Arbeitszeitwünschen.
Als Gründe hierfür lassen sich insbesondere die zumeist gestiegenen oder besonderen Belastungen (Stichwort Schichtdienst) ausmachen.Auch die Angst, nicht mehr bis zum gestiegenen Renteneintrittsalter durchhalten zu können, kann den Wunsch nach Verkürzung der Arbeitszeit befördern. Der DGB-Report von 2023 zu Gesundheitszustand, Belastungssituation und Präventionsmaßnahmen von Arbeitnehmer*innen gibt hierüber Auskunft DGB-Index Gute Arbeit.
Diese Wünsche münden nun zunehmend in Forderungen.
So geht es bei Tarifauseinandersetzungen nicht mehr nur um höhere Löhne und Gehälter, sondern auch um Zugeständnisse in Richtung einer Arbeitszeitverkürzung.Individuell fragen Bewerber*innen verstärkt nach Möglichkeiten einer verkürzten Arbeitszeit. Besonders beliebt ist das Modell einer 4-Tage-Woche.
Der Not gehorchend haben sich einige Unternehmen, auch Handwerksbetriebe, auf eine Zeit-Umstellung eingelassen und wider Erwarten gute Erfahrungen damit gemacht. Die Krankenstände sinken, die Motivation steigt und die Zahl der Bewerber*innen ebenfalls.
Die Bremer Arbeitszeitinitiative, die sich schon länger mit dem Thema auseinandersetzt, hat einen ersten, bundesweiten Branchenreport mit Betrieben verfasst, die eine 4-Tage-Woche und/oder eine verkürzte Vollzeit eingeführt haben.
Auch aus sozialen Arbeitsbereichen, in denen vor allem Frauen arbeiten, gibt es gute Beispiele:
- Deutsches Rotes Kreuz Pflegeeinrichtung Sangershausen
400 Beschäftigte arbeiten ab nächstes Jahr 36 Stunden in der Woche statt 40 Stunden, verteilt auf 4 Tage bei vollem Lohnausgleich und einer Tariferhöhung um 5,5 %. Auch dieses Projekt wird wissenschaftlich begleitet. DRK 4-Tage-Woche
- Waldkliniken Eisenberg
Ein Haustarifvertrag, der sog. „Eisenberger Tarif“, sorgt bis 2028 für die gestaffelte Umsetzung einer 35 Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich sowie einem Tag mehr Urlaub. Darüber hinaus beinhaltet der Tarifvertag ein Recht auf Weiterbildung im Umfang von 35 Stunden pro Jahr.https://der-krankenhaus-der-zukunft-tarif.de/ und Waldkliniken Eisenberg
- Hamburger Kindertagesstätte Ki.Ta „Kleine Heimat“
Im März 2023 wurde die 4-Tage-Woche eingeführt.Hamburger Ki.Ta 4-Tage-Woche
Ganz aktuell setzen nun auch die Stadtwerke Pforzheim (SWP) im Kampf um Mitarbeiter*innen und Auszubildende seit kurzem auf die 4-Tage-Woche.Der Geschäftsführer Herbert Marquard erklärt die Maßnahmen: Man habe sich Unternehmen in Großbritannien angeschaut, die schon länger Erfahrung mit der 4-Tage-Woche haben. Deren übereinstimmende Bilanz sind bessere Ergebnisse, zufriedenere Mitarbeitende und ein geringerer Krankenstand. Er habe dort gesehen, dass das Modell nicht nur den Beschäftigten, sondern auch dem Unternehmen große Vorteile bringen könne. https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/karlsruhe/stadtwerke-pforzheim-erproben-4-tage-woche-100
Tatsächlich bestätigen auch internationale Studien, dass eine Arbeitszeitverkürzung keinesfalls Nachteile mit sich bringen müsse, stattdessen aber für eine gesündere Arbeitswelt sorgen kann.
Dies zeigen beispielhaft die erwähnten Ergebnisse des jüngsten und größten Pilotprojekts zur Einführung der Vier-Tage-Woche in Großbritannien, welches von Juni bis Dezember 2022 stattfand und an dem 61 Unternehmen unterschiedlicher Sektoren und Größen mit insgesamt rund 2.900 Beschäftigte beteiligt waren. Als Rahmenbedingung war ein volles Entgelt bei eigenen Umsetzungsansätzen vorgegeben.
Die Umsetzung fiel je nach Branche und Größe der Organisation unterschiedlich aus; von einem festen freien Tag in der Woche über Rotationsverfahren bis hin zu einer Umsetzung einer 32-Stunden-Woche aufs Jahr bezogen (z.B. in der Gastronomie) oder einer Mischung verschiedener Ansätze (z.B. in einer Wohnungsbaugesellschaft).
Folgende positive Auswirkungen konnten nachgewiesen werden:
- 39 Prozent der Beschäftigten fühlten sich weniger gestresst
- 71 Prozent wiesen am Ende der Studie ein geringeres Burnout-Niveau auf
- Die Fehlzeiten sanken im Vergleichszeitraum um 65 % (von 2 auf 0,7 Tage
- 54 Prozent der Beschäftigten gelang es, Arbeit und Haushalt einfacher unter einen Hut zu bringen
- 60 Prozent der Beschäftigten stellten fest, dass sie ihre Erwerbsarbeit besser mit ihren Betreuungspflichten vereinbaren konnten
- 62 Prozent berichteten über eine leichtere Vereinbarkeit von Arbeit und Sozialleben.
- Der Umsatz der Unternehmen blieb während des Versuchszeitraums im Großen und Ganzen gleich bzw. stieg in den Unternehmen, die diese Daten zur Verfügung stellten, im Durchschnitt um 1,4 Prozent an.
- 57 Prozent weniger Mitarbeiter*innen verließen während des Pilotprojekts die Unternehmen
- 92 Prozent, das heißt 56 von 61 der teilnehmenden Unternehmen setzt die Vier-Tage-Woche fort!
https://www.zdf.de/nachrichten/wirtschaft/vier-tage-woche-pilotprojekt-deutschland-102.html und: https://www.intraprenoer.de/4tagewoche
So hält inzwischen auch das Handelsblatt vom 21.2.2023 fest: „Die Unternehmen meldeten höhere Einnahmen ohne einen Verlust an Produktivität. Die höhere Arbeitszufriedenheit führte außerdem dazu, dass die Fluktuation um die Hälfte zurückging.
Nicht nur Großbritannien, auch Island, Spanien und Portugal haben es bereits vorgemacht und die 4-Tage-Woche ausprobiert. Nun geht auch bei uns eine bereits länger angekündigte und bundesweit angelegte Studie an den Start und wir dürfen gespannt sein, welche Ergebnisse sie hervorbringen wird.
Als wichtige Stellschrauben auf dem Weg zur Umsetzung jeder Arbeitszeitverkürzung halte ich ein gelungenes Personalmanagement für unerlässlich. Letztlich geht es darum, gute Personalplanung und -entwicklung zu betreiben, entsprechende Konzepte und angemessene Dienstpläne erstellen. Darüber hinaus sind Prozessoptimierungen entscheidend, wie beispielsweise weniger oder kürzere Teamsitzungen anzuberaumen. Es gilt Verwaltungsabläufe zu verschlanken.
Eine gute Arbeitszeitgestaltung braucht eine gute Arbeitsorganisation!
Dazu gehören realistische Zielvorgaben in Form von angemessene Leistungserwartungen, der Schutz vor Belastungsfolgen, Gestaltungsspielräume sowie eine Planbarkeit für beide Seiten.
Auf dem Weg dahin lohnt es sich, die Arbeitnehmer*innen einzubeziehen, sie als „betroffene“ Expert*innen nach ihren Wünschen und Veränderungsansätzen zu befragen und so zu gemeinsam akzeptierte Lösungen zu gelangen. So kann letztlich die 4-Tage-Woche gelingen und auch für eine gleichberechtigte Teilhabe von Care-Arbeit wirksam werden.
Eine echte Win-win-Strategie!
Gut zu wissen!
Die Bremer-Arbeitszeitinitiative
Auf der Webseite https://www.bremer-arbeitszeitinitiative.de finden sich anregende Informationen, wie wochenaktuelle News zu Arbeitszeit und Arbeitszeitverkürzung, Betriebsbeispiele zur 4-Tage-Woche und weiterführende Beiträge zum Zusammenhang von Arbeitszeitverkürzung und Gleichstellung.
Angelika Kähler
Referentin
Kirchlicher Dienst in der Arbeitswelt
der Nordkirche
Mail: angelika.kaehler@kda.nordkirche.de