Wie werden wir in Zukunft arbeiten? Ausprobieren!
Wie schaffen wir es in Zukunft, eine gute Work-Life-Balance für Arbeitnehmende zu ermöglichen, die Organisation von Care-Arbeit gerecht zu verteilen und im Zeitalter von IT und KI eine solide soziale Absicherung über Erwerbsarbeit zu puffern? Eine der Antworten ist die „4-Tage-Woche“. Doch unter dem Schlagwort verbergen sich sehr verschiedene Arbeitszeitmodelle. Die wichtigsten Unterschiede ergeben sich aus den Fragen: Eine Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit auf vier Tage mit oder ohne Arbeitszeitreduzierung? Und mit oder ohne Lohnausgleich? Und was passiert mit der Produktivität?
2024 ist in Deutschland eine großangelegte Pilotstudie zur Erprobung der 4-Tage-Woche angelaufen. Etwa 50 Unternehmen probieren es aus: Mit dem vielversprechenden Arbeitsmodell 100-80-100.
D. h. Gleichbleibendes Gehalt (100%) mit einer reduzierten wöchentlichen Arbeitszeit (80% der bisher gearbeiteten Arbeitszeit) bei gleichbleibenden Produktivitätserwartungen (100% Produktivität).
Und das Tolle ist: Die Studie wird wissenschaftlich begleitet, sodass wir im Herbst 2024 Antworten haben werden auf wichtige Fragen zum neuen Arbeitsmodell und seiner Praktikabilität. https://www.intraprenoer.de/4tagewoche
Sophie Jänicke ist Ressortleiterin für Tarifpolitik beim IG Metall Vorstand mit dem Schwerpunkt Arbeitszeit. Sie ist zudem Beiratsmitglied der Pilotstudie 4-Tage Woche in Deutschland. Na klar, wir mussten sie unbedingt zu unserem Frauenmärz 2024 Thema fragen!
Sophie Jänicke, warum ist die 4-Tage-Woche nicht nur aus Arbeitnehmersicht wünschenswert?
Sophie Jänicke: Von der 4-Tage-Woche – als Arbeitszeitverkürzung mit Lohnausgleich – können Beschäftigte und Unternehmen gleichermaßen profitieren. In Zeiten von Krise oder Umbau in Unternehmen (wie jetzt in der Transformation) kann durch Arbeitszeitverkürzung Beschäftigung gesichert werden. Das heißt mehr Jobsicherheit für die Beschäftigten. Und die Unternehmen behalten die Fachkräfte an Bord, die sie brauchen, wenn es wieder aufwärtsgeht. Für Beschäftigte bedeutet eine Vier-Tage-Woche bei reduzierter Arbeitszeit eine bessere Work-Life-Balance und mehr Erholung vom oft anstrengenden Arbeitsalltag. Unternehmen können profitieren, weil durch Arbeitszeitverkürzung in der Regel die Produktivität ansteigt – durch bessere Arbeitsorganisation, bessere Qualität von Waren und Dienstleistungen und einen geringeren Krankenstand.
Würden Frauen besonders profitieren?
Sophie Jänicke: Der Teilzeitanteil unter Frauen ist besonders hoch. Das ist oft ein Teufelskreis: Wenn Kinder kommen, reduziert in der Regel die Person mit dem geringeren Einkommen in der Familie die Arbeitszeit. Das sind meist Frauen. Wenn eine 4-Tage-Woche mit verkürzter Arbeitszeit zum neuen Vollzeit-Standard für alle wird, birgt das die Chance, dass auch Männer mehr Sorgearbeit übernehmen und Frauen stärker im neuen Vollzeit-Modell arbeiten könnten. Das könnte heißen: eine gerechtere Arbeitsteilung, ein geringeres Gender-Pay-Gap und ein geringeres Gender-Pension Gap. Und es wäre ein Beitrag gegen den Fachkräftemangel. Denn insgesamt würde dem Arbeitsmarkt so mehr Arbeitsvolumen zur Verfügung stehen als heute.
Was wird in der Pilot-Studie untersucht, was wir noch nicht wissen?
Sophie Jänicke: Das Anliegen ist, stärker als in den vorhergegangenen Studien zu schauen, wie sich die reduzierte Arbeitszeit auf die Produktivität auswirkt. Und welche Faktoren für eine gute Umsetzung einer 4-Tage-Woche förderlich sein können. Außerdem will die Studie gute Beispiele schaffen, die zeigen: Das Arbeitsmodell 4-Tage-Woche lässt sich in vielen Wirtschaftsbereichen umsetzen – auch in Deutschland.
Die IG Metall hat ja eine Vorreiterrolle bei der Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit und hat mit der 35 Stunden Woche 1995 ein deutliches Zeichen gesetzt. Welche Erfahrungen lassen sich aus dem Metallbereich in die aktuelle Diskussion um die 4-Tage-Woche – auch für andere Branchen – einbringen?
Die Arbeitszeitreduzierungen in der Metall- und Elektroindustrie zeigen: Arbeitszeitverkürzung ist machbar und umsetzbar – auch in Bereichen, in denen flexibel oder in Schichtsystemen gearbeitet wird. Und sie ist finanzierbar – denn trotz der aktuell schwierigen Lage leistet die deutsche Industrie immer noch den wichtigsten Beitrag dazu, dass die deutsche Volkswirtschaft weltweit ganz vorne mitspielt.
Als kirchliche Mitarbeiterin mit einer 40 Stunden Woche kann man zurzeit von 35 Stunden nur träumen. Haben Sie (ein oder zwei) Tipps für Arbeitgeber und Betriebsräte/PR/MAV das Thema Arbeitszeitverkürzung oder die 4-Tage-Woche im Betrieb konkret aufzugreifen?
Den Arbeitgebern kann ich raten: Gute Arbeitszeiten, die den Beschäftigten Zeit für Erholung eine gute Work-Life-Balance bieten, sind neben guter Bezahlung das beste Argument, um Fachkräfte zu gewinnen. Wer die klugen Köpfe will, muss ihnen bei der Arbeitszeit entgegenkommen. Den Beschäftigten und ihren Vertretungen kann ich nur Mut machen: Der Kampf um Arbeitszeitverkürzung ist nicht leicht, aber er lohnt sich. Denn es ist unsere Zeit und unser Leben – und das bietet noch so viel mehr neben der Arbeit, das das Leben erst wirklich lebenswert macht.
Und das finden wir auch! Herzlichen Dank für deine Einschätzungen, Sophie Jänicke!
Das Interview führte Nina Golf, Wissenschaftliche Referentin im kda Bayern
Nina Golf
Wissenschaftliche Referentin
kda – Kirchlicher Dienst in der Arbeitswelt
der Evang.-Luth. Kirche in Bayern
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