Ausblick auf den Kirchentag in Hannover:
Am Sonnabend, den 03.05.2025 wird der Journalist und Buchautor Sascha Lübbe beim KWA-Workshop zum Thema prekäre Arbeitsbedingungen von migrantischen Beschäftigten auf dem Kirchentag in Hannover mit dabei sein. Die drei verantwortlichen Organisatorinnen Renate Zäckel vom KDA-Baden, Beate Schulte, KDA Oldenburg, sowie Heike Riemann vom KDA der Nordkirche und zugleich Beauftragte für den KWA für das Thema „prekäre Arbeit“ freuen sich darüber sehr. Sascha Lübbe ist Autor des Buches „Ganz unten im System“, das sich mit der systematischen Ausbeutung von migrantischen Beschäftigten in diversen Branchen beschäftigt.
Wer mag, kann sich Termin und Ort für den Workshop schon vormerken. Weitere Infos folgen.
Sonnabend, 03.05.2025, 15.00 – 16.30 Uhr, Volkshochschule, Burgstr. 14, 1. Stock, Raum 114
Erst im November war Sascha Lübbe als Gesprächspartner bei der vielfältig beachteten und gut besuchten Veranstaltung des KDA der Nordkirche „Ganz unten im System – Einblicke in eine Parallelwelt der Arbeit“ zu Gast. Hier der Artikel von Heike Riemann, KDA Nordkirche dazu:
Wegschauen gilt nicht – wo menschenunwürdige Arbeitsbedingungen an der Tagesordnung sind
„Ganz unten im System“, so hat der Journalist Sascha Lübbe sein Buch über Arbeitsmigrant*innen genannt. Es handelt von denjenigen, die auf dem Bau, auf Schlachthöfen, im Transportwesen oder als Reinigungskräfte hier in Deutschland in einer Parallelwelt der Arbeit tätig sind. Denen zum Beispiel Löhne und Krankenversicherung vorenthalten, die betrogen und eingeschüchtert werden und anderes mehr. Das Ergebnis seiner Recherchen und Interviews: An zahlreichen Orten und in zahlreichen Branchen gibt es systematische Ausbeutung. Wie diese funktioniert, darum ging es bei unserem Abend „Ganz unten im System – Einblicke in eine Parallelwelt der Arbeit“ Ende November in der Hamburger Rathauspassage.
Zunächst berichtete Sascha Lübbe im Gespräch mit dem Moderator Jörn Straehler-Pohl von seinen Erfahrungen, dann nahmen er sowie Alexandru Firus, Referent und Berater des Peco-Instituts e. V. der IG BAU, Zohra Mojadeddi, wirtschaftspolitische Sprecherin der Grünen in der Bürgerschaft Hamburg und Aldona Kucharczuk, Beraterin in der Servicestelle Arbeitnehmerfreizügigkeit von Arbeit und Leben, die zahlreichen Teilnehmenden des Abends tief mit hinein in Zustände, die man in Deutschland eigentlich nicht für möglich hält. Die Bauindustrie diente dabei als Beispiel, denn durch das übliche Verfahren, einen Großauftrag auf diverse Werkvertragsfirmen als Subunternehmen zu verteilen, gelingt es, Verantwortlichkeiten klein zu halten. Ähnliches war bis zum Arbeitsschutzkontrollgesetz aus der Arbeit auf Schlachthöfen bekannt – unter dem Stichwort: Organisierte Verantwortungslosigkeit.
v.l.n.r.: Alexandru Firus, Aldona Kucharczuk, Jörn Straehler-Pohl, Zohra Mojadeddi und Sascha Lübbe; Foto: Kerstin Albers-Joram, KDA Nordkirche
In der Tat ähneln sich „Masche“ und Voraussetzungen branchenübergreifend immer wieder. Da sind auf der einen Seite Menschen, die dringend auf Arbeit und Geld angewiesen sind, um zum Beispiel eine Familie mitzuversorgen oder Schulden zu bezahlen. Sie verfügen aber nur über wenige bis keine deutschen Sprachkenntnisse und auch mit den rechtlichen Gepflogenheiten sind sie nicht vertraut. Um so mehr sind sie darauf angewiesen, dass jemand (scheinbar) Vertrauenswürdiges ihnen bei der Vermittlung in und Aufnahme von Arbeit, bei der Wohnungs- oder Zimmersuche, bei Behördenangelegenheiten etc. hilft oder diese für sie übernimmt – ein Einfallstor für Betrug und Falschinformationen. So berichteten sowohl Alexandru Firus als auch Aldona Kucharczuk von immer wieder vorkommenden Fällen aus ihrer Beratungsarbeit, bei denen Anmeldungen zur Krankenversicherung nicht erfolgt sind oder Ratsuchende sogar nachträglich abgemeldet wurden, dass Löhne nicht oder nur teilweise ausgezahlt wurden, dass Krankmeldungen mit sofortiger Kündigung einhergehen und anderes mehr. Die rechtliche Durchsetzung von Ansprüchen aus solchen Arbeitsverhältnissen ist möglich, braucht aber Geduld, Mut und eine gute Dokumentation. Alles ebenfalls nicht einfach, insbesondere, wenn es aus aufenthaltsrechtlichen oder anderen existenziellen Gründen eher geboten scheint, in Arbeit zu bleiben oder schnell wieder (irgend-)eine aufzunehmen.
Unter Druck stehen aber auch die Werkvertragsunternehmen selbst, die je nachdem, welche Position sie bei der Untervergabe von Aufträgen einnehmen, mit einem immer kleiner werdenden Betrag für die Arbeit abgefunden werden, da jeder vorausgehende Auftraggeber, einen Betrag als „sein Stück“ aus dem Gesamtvolumen eines Auftrages bereits einbehält. Alexandru Firus schilderte anschaulich, wie der zustehende Betrag durch Einbehalt von „Sicherheitsleistungen“ von vornherein oder auch bei der Bezahlung (Abzüge wegen (scheinbar) nicht 100 %iger Erfüllung) weiter schrumpfen kann und wie Werkvertragsunternehmen darauf reagieren.
Eine wie in anderen Ländern bereits übliche Arbeitsinspektion, die mehr Befugnisse und Kontrollmöglichkeiten hätte als der Zoll, das Tariftreuegesetz, das Arbeitsschutzkontrollgesetz auch für andere Branchen und das Lieferkettengesetz waren wichtige Stichworte in der anregenden Diskussion zur Frage „Was tun?“. Einigkeit bestand aber am Ende des Abends auch: Es braucht vor allem ein mehr an Öffentlichkeit und öffentlicher Empörung, um Ausbeutung und menschenunwürdige Arbeit einzudämmen. Der Abend lieferte einen wichtigen Baustein dafür. Wer dabei war, geht zukünftig mit anderen Augen durch die Stadt. Wer einmal die Mechanismen „des Systems“ erkannt hat, erkennt es auch an anderen Stellen.
Ein Beitrag von Heike Riemann, KDA Hamburg, KWA-Beauftragte für das Thema „prekäre Arbeit“. Kontakt: heike.riemann@kda.nordkirche.de
Fotos: Kerstin Albers-Joram, KDA Nordkirche
Wir freuen uns, euch und Sie darüber informieren zu können, dass der KWA mit weiteren spannenden Veranstaltungen und auf dem EKD-Gemeinschaftsstand beim Kirchentag vertreten sein werden. Eine Übersicht mit allen Themen, Terminen und Orten folgt in Kürze.