Andacht: In Sand geschrieben

In Sand geschrieben (Joh 8,2-11)

Wenn beim Mannheimer Mobbingtelefon oder der überregionalen Konflikthotline das Telefon klingelt, meldet sich am anderen Ende der Leitung in weit über 50 Prozent der Fälle eine weibliche Stimme. Erst zurückhaltend, dann immer intensiver erzählt die Stimme. Sie erzählt von der Not, die am Arbeitsplatz ertragen und ausgehalten wird, von den alltäglichen kleinen Gehässigkeiten und Gemeinheiten, den immer wiederkehrenden Grenzüberschreitungen. Sie erzählt davon, wie immer mehr Menschen sich daran beteiligen und die eigene Einsamkeit wächst.

„Warum ich?“

Die Stimme erzählt von Unverständnis, von Angst und Verzweiflung. Sie erzählt von der Wirklichkeit dieses Lebens. Nicht selten fließen Tränen.

Gemeinsam suchen wir Wege heraus aus dieser Hölle eskalierender Konflikte und mobbender Kollegen. Manchmal finden wir welche, zumindest erste Schritte. Manchmal hilft auch einfach nur der Trost des ruhigen Zuhörens und der Ernst, mit dem ich der Stimme und ihrer Erzählung begegne.

Wer solche Beratung schon einmal geleistet hat, lernt eine andere Welt kennen. Es ist eine Welt, in der die einen über die anderen herrschen wollen. Es ist eine Welt, in der ausgeübte Macht mit ihrem ganzen bösen Beiwerk real ist. Es ist unsere Welt. Nicht nur an dieser Stelle, aber besonders hier ist sie gnadenlos, erbarmungslos und in allem lieblos. Sie zerstört das Leben.

Betroffen sind vor allem Frauen. Jedenfalls ist das der Befund aus der konkreten Beratungstätigkeit. Vielleicht sind genauso viele Männer betroffen. Die aber erscheinen an den Telefonen in deutlich geringerer Zahl.

Wer aber hegt die Macht ein, unter der die Menschen leiden? Wer stellt Gnade, Erbarmen und Liebe wieder her? Wer schafft neues Leben?

„Wer unter Euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein!“, sagt Jesus Christus, als die Männer eine Frau vor ihn zerren, dass er über sie urteile (Joh 8,7). Das Problem ist ein Altes. Sehr alt. Schon die Bibel erzählt von dieser ausgeübten gewaltbereiten Macht. Das Leben ist schnell vernichtet. Die Frau in der Geschichte ist eigentlich schon tot.

Jesus Christus aber bewahrt vor dem Tod. Er bewahrt die Frau. Zuallererst. Er bewahrt aber auch die Männer und richtet sie neu aus. Er liebt das Leben.

Und:

Jesus nimmt das Leben selbst in die Pflicht. Jedes einzelne. Niemand darf zuschauen. Jeder ist gefragt zu handeln.

Bei sich selbst.

Einschreiten.

Aus Gnade und Erbarmen.

Ein neues Leben.

Aus Liebe.

Im Sand ist es geschrieben. Es verfliegt schnell. Bewahrt es, damit das Leben bleiben kann.

Maximilian Hesslein, Industrie- und Sozialpfarrer, KDA Mannheim

Foto: Getty Images, via canva.com