Rollback in die Zukunft?

Rollback in die Zukunft?

Seit der US-Präsidentschaftswahl im November 2024 brodelt es in den Medien. Selbst vom britischen Historiker Timothy Garton Ash, der naturgemäß in langen Phasen denkt, konnten wir vernehmen, dass „etwas Neues, eine neue Epoche“ beginne. Das war im besten Fall neutral gemeint. Neben den multiplen Krisen in der Welt hält uns seitdem die schnelle Taktung der illiberalen Politikausrichtung in den USA in Atem – und es kommen erste Bedenken auf, dass diese Entwicklung nicht folgenlos für das sonst so verlässliche politische System der Gewaltenteilung, der „checks and balances“, in den USA ausgehen wird.

Einen Vorgeschmack erleben wir auch auf dieser Seite des Atlantiks – angesichts dessen, dass sich in vielen europäischen Ländern das politische Spektrum längst zu den Rändern hin verschoben hat und rechte Parteien die Parteien der Mitte verdrängen. Viele sind besorgt um das feste Fundament der liberalen Demokratien und liberalen Weltsicht auf unserem Kontinent.

Was hat das alles mit Frauen auf dem Arbeitsmarkt zu tun?

Viel. Und da muss man nicht nur an die männliche Dominanz rechter Strömungen denken, gepaart mit wieder aufflammendem Chauvinismus und Frauenfeindlichkeit.

Auch in der Wirtschaft sind Tendenzen eines Kulturwandels spürbar. Nicht nur in den USA, auch hier in Deutschland verabschiedet man sich nach und nach von sozialen Innovationen, die ein Konzept der Vielfalt in der Arbeitswelt fördern. Die Ära der Diversity-Manager und -Programme scheint sich dem Ende zuzuneigen. Große Unternehmen jenseits des Atlantiks passen sich und ihre Visionen vielerorts der vermuteten gesellschaftlichen Großwetterlage an. Die geschlechtssensible Perspektive ist dabei nur eine von vielen Vielfalts-Dimensionen, die dadurch wieder durch das Raster fällt. 

Da passt es ins Bild, dass auch in Deutschland die von Victoria Wagner 2020 gegründete Initiative Beyond Gender Agenda (BGA), die mit vielfacher Unterstützung aus der Wirtschaft Veranstaltungen und Kampagnen, Studien und Preisvergaben, Zertifizierungen und Beratungen zur Relevanz von Vielfalt organisierte, in diesem Monat aufgrund der kritischer werdenden Haltung in Wirtschaft und Gesellschaft aufgegeben wird. Was dadurch auch eine Schwächung erfährt, ist ein ganz pragmatischer Blick aus der Praxis darauf, wie sich verschiedenartige Diskriminierungsfaktoren in der Arbeitswelt überlappen und verstärken.

Rückblick: Noch vor 30 Jahren wehte aus den USA ein anderer Wind herüber. Denkt man an die 1990er Jahre zurück, war das Silicon Valley in Kalifornien nicht nur weltweit bekannt als Wiege der Hightech-Innovationen, sondern es stand auch für neue Formen der Zusammenarbeit. Delegationen aus aller Welt reisten dorthin, um sich neue Rezepte für die Arbeitswelt der Zukunft anzusehen, träumten von Disruption, um anschließend großzügige Start-up-Programme aufzulegen – später mancherorts sogar ergänzt um Förderlinien für weibliche Gründungen, die beim Ideen-Pitchen oft den Kürzeren zogen.

Wahrlich nicht alles war Gold, was glänzte. Aber vieles schien möglich. Spätestens in Folge der Corona-Pandemie gab es auch in Deutschland einen großen Modernisierungsschub bei der Digitalisierung der Arbeitswelt – der gerne inklusiver hätten wirken können. Das Thema „New Work“ hat auch in Deutschland Diskussionsräume geöffnet, wenngleich innovative Formen der Zusammenarbeit manchmal nur kurz getestet und schnell wieder verworfen wurden.

Die Beratungsfirma McKinsey hat mehrfach berechnet, dass sozio-ökonomische, altersbezogene, kulturelle und auch religiöse Vielfalt mehr als ein Wert, sondern Erfolgsfaktor für den wirtschaftlichen Erfolg ist und dementsprechend beraten.

Was bleibt also? Für heute mehrere Erkenntnisse:

Wolf Lotter, einer der Gründer des Wirtschaftsmagazins brand eins hat den Begriff der Innovation nochmal vereinfacht: Innovation ist, wenn es der Welt besser geht. Aber Innovationen sind auch immer eine Zumutung.Technische wie auch soziale Innovationen erfordern eine Bereitschaft zu beständiger Infragestellung und zum Experiment, zu Interdisziplinarität und Kreativität. Man muss sie wollen, sich aneignen und anwenden. Manchmal muss für die, die außen vor blieben, nachjustiert werden. Genau an diesen Bereitschaften scheint es aber zunehmend zu mangeln.

Das einst so gepriesene Silicon Valley steht in den letzten Jahren zunehmend auch für Massenentlassungen, fehlenden Arbeitsschutz, unbezahlbaren Wohnraum, hohe Kriminalitätsraten und Umweltschäden. Ganz aktuell dominiert in den Medien, wie dortige Tech-Oligarchen, deren Namen wir alle kennen, einen unermesslichen Einfluss auf die Politik ausüben könnten. Um Frauengesundheit, Chancengerechtigkeit und Wohlstand für alle wird es dort eher nicht gehen.

Für heute hat dieser Monats-Blog Ihnen etwas Eskapismus gegönnt. Wir haben uns mit einer mit allen Wassern gewaschenen Journalistin vor den Trad-Wives gegruselt, Barbie für ihre spät erreichte Stabilität in ihrem Universum bewundert. Aber wir haben auch die Folgen von Mobbing gegen Frauen kennengelernt und konnten in Gedanken Frauen applaudieren, die in dem weiblich dominierten Berufsfeld der Pflege innovativ viele Herausforderungen meistern und dennoch auch immer um Haltung ringen.

Für morgen haben wir folgenden Wunsch: Die Weltbank erforscht in einem ihren jährlichen Berichten als Gradmesser für die Entwicklung eines Landes, wie Frauen behandelt werden. In Deutschland befinden wir uns im internationalen Vergleich auf einem hohen Niveau, aber auch wir müssen auch zukünftig um Innovationen ringen, die eine bessere Welt schaffen. Technische und Soziale Innovationen gehen nicht automatisch Hand in Hand, haben ihre Ups und Downs, verbessern die Welt nicht für alle. Was für Auswirkungen haben Veränderungen auf Menschen unterschiedlicher Herkunft, Geschlechter, Religionen? Ein klarer Blick auf diese Fragestellungen kann uns zeigen, ob wir eine bessere Welt formen können. Die Gottesebenbildlichkeit aller Menschen, die uns Christ*innen leitet, fordert uns dazu auf. 

Annelies Bruhne, Referentin Wirtschaft, Evangelisch-lutherische Landeskirche Hannovers und Geschäftsführerin im Ev. Verband Kirche-Wirtschaft-Arbeitswelt (KWA)