Laut EU-Verträgen bleibt die Sozialpolitik im Kern eine Domäne der Mitgliedsstaaten. Die EU hat hier nur begrenzten Einfluss, darf ab und zu harmonisieren und auch mal Mindeststandards setzten. Soweit die landläufige Meinung. Aber weit gefehlt! Über andere Politikfelder nimmt die EU mitunter massiven Einfluss auf die nationale und regionale Sozialpolitik in den einzelnen Mitgliedsstaaten.
Beispiel: die EU-Kohäsionspolitik.
Über den Europäischen Sozialfonds (ESF), den Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung (EFRE) und den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) strebt die EU eine Harmonisierung der Lebensverhältnisse innerhalb der Gemeinschaft an. Diese EU-Fonds sind inzwischen zu einem wesentlichen Bestandteil der Sozialpolitik in den Mitgliedsstaaten geworden, vor allem auf regionaler Ebene. Selbst in Deutschland, in reichen Bundesländern wie Nordrhein-Westfalen, sind es oft diese EU-Fonds, die der Landesregierung überhaupt noch einen eigenen, wenn auch kleinen sozialpolitischen Handlungsspielraum lassen. Allerdings muss für jeden Fonds ein sogenanntes Operationelles Programm (OP) mit der EU Kommission ausgehandelt werden. Und die gibt als Geldgeberin immer die Struktur sowie die übergeordnete Strategie der OPs vor. Die Folgen? In einem seit Jahren anhaltenden Prozess setzt die EU-Kommission ihre an Wachstum und Binnenmarkt orientierten Vorstellungen von Sozialpolitik mit Hilfe der unzähligen OPs in allen Mitgliedsstaaten mehr und mehr durch. Die einzelnen Regierungen versuchen zwar immer wieder, ihre eigenen sozialpolitischen Vorstellungen in das von der EU vorgegebene, enge Korsett zu zwängen, und verbuchen hier auch durchaus Erfolge. Langfristig aber wird sich der strukturelle Einfluss der EU durchsetzen. Es kommt zu einer schleichenden Europäisierung der Sozialpolitik.
Ach, und die Kirchen? In den evangelischen Landeskirchen gibt es zwar hin und wieder hauptamtliche Beschäftigte, die kirchliche Positionen zur Sozialpolitik – meist in Abstimmung mit den Wohlfahrtsverbänden – in die entsprechenden politischen Gremien einspeisen. Und das EKD-Büro in Brüssel bleibt an den Verhandlungen auf europäischer Ebene dran. Insgesamt sind dies aber die bekannten Tropfen auf den heißen Stein. Wenn die Kirchen tatsächlich Einfluss auf die zukünftige EU-Sozialpolitik nehmen möchten, müssen sie bei der EU-Kohäsionspolitik nicht nur eine Schippe drauf legen!