Erreichen die Volkskirchen noch die ganze Gesellschaft? Seitdem sich im 19. Jahrhundert große Teile der Arbeiterschaft von den Kirchen abwandten, bestehen daran Zweifel. Insbesondere der Evangelischen Kirche werden bis heute eine stark bürgerliche Prägung und eine zu geringe Verankerung in der Schicht der Arbeiter und einfachen Angestellten nachgesagt. Der Leiter des Kirchlichen Dienstes in der Arbeitswelt (kda) Johannes Rehm sieht hierin eine offene Wunde am Leib Christi: „Der Sendungsauftrag unserer Kirche wendet sich an alle Geschöpfe Gottes. Eine Beschränkung auf die bürgerliche Mittelschicht ist damit unvereinbar.“

Sein jetzt bei Kohlhammer erschienenes Buch „Kirche und Arbeiterfrage: Eine sozialwissenschaftlich-theologische Untersuchung zu Nähe und Distanz zwischen Arbeiterschaft und Evangelischer Kirche“ wirft neues Licht auf das Thema. Herausgeber Rehm versammelt darin sozialempirische, kirchensoziologische und theologische Beiträge, die ein facettenreiches Bild von der heutigen Kirchenbindung der Arbeitnehmenden zeichnen.

Im Mittelpunkt stehen quantitative Befragungen von Arbeitnehmenden aus bayerischen Betrieben sowie von Kirchenvorstandsmitgliedern evangelischer Gemeinden. Sie wurden vom kda in Kooperation mit der Evangelischen Hochschule Nürnberg durchgeführt. Zwei qualitative Studien ergänzen die Empirie: Interviews mit Expertinnen und Experten aus der Schnittstellenarbeit zwischen Kirche und Arbeitswelt sowie eine in ihrer Form singuläre Untersuchung des Sozialwissenschaftlichen Instituts der EKD in Hannover (SI) zur Kirchenbindung von Gewerkschaftern.

Die im Buch vorgestellten Daten liefern zahlreiche Hinweise, wo und wie die kirchliche Einbindung von Arbeitnehmenden auf der Ebene der Kirchengemeinde und in spezialisierten kirchlichen Diensten reibungslos gelingt oder fehlschlägt. Autorenbeiträge von Konstanze Kemnitzer und Klaus Raschzok (Augustana-Hochschule Neuendettelsau) sowie Gerhard Wegner und Harry W. Jablonowski (SI) leisten dazu die theologisch-soziologische Einordnung mit teilweise kontroversen Impulsen für die weitere kirchliche Diskussion.

„Kirche und Arbeiterfrage“ setzt ein Thema auf die Agenda, das derzeit kirchenpolitisch wenig beachtet wird, obwohl es an Brisanz gewinnt. „Gerade unter den Vorzeichen einer wieder wachsenden gesellschaftlichen Spaltung ist die Arbeiterfrage eine kritische Anfrage an die Gesellschaft und schärft auch in den Kirchengemeinden die Wahrnehmung von Menschen in prekären Lagen, seien es einfache Arbeiter und Angestellte, Solo-Selbstständige oder Arbeitslose“, so Rehm. Die Evangelische Kirche werde sich immer wieder erneut fragen müssen, ob sie in der Lebens- und Arbeitsrealität der Menschen am unteren Rand der Gesellschaft präsent ist.

Flyer:Flyer_Kirche und Arbeiterfrage_Kohlhammer

Pressemitteilung:PM_Buch_Kirche_und_Arbeiterfrage_25.8.2017