Vor Gott sind alle Menschen gleich, heißt es so schön. Aber, …
Natürlich wissen wir, dass nicht alle Menschen wirklich gleich sind. Wir sehen alle anders aus, denken anders und sprechen anders. Mit dem Satz „vor Gott sind alle Menschen gleich“ ist zum Glück auch nicht gemeint, dass wir alle gleich denken, sprechen und aussehen. Der Satz soll aussagen, dass wir alle gleich viel wert sind. Wir sind als Menschen wertvoll, unabhängig davon, wie wir aussehen, was wir denken und wie wir sprechen.
Gott macht keinen Unterschied zwischen uns. Vor Gott sind alle Menschen in ihrer Unterschiedlichkeit gleich, das ist wundervoll. Durch diesen Gleichheitsgrundsatz muss keiner anders sein, als er ist. Keiner muss einem Ideal gleichen, weil es nicht das EINE Ideal gibt, sondern eben alles nebeneinander sein darf: bunt und vielfältig.
Und wie sieht es bei uns Menschen auf der Erde aus? Sind für uns alle Menschen gleich? Gleich viel wert? Egal wie sie aussehen, wie sie denken oder sprechen?
Formal gilt dieser Gleichheitsgrundsatz auch „auf Erden“, formal ist jeder Mensch vor dem Gesetz gleich. Aber, ….
Es gibt viele Menschen, die unterstützen sich gegenseitig, sind freundlich und wertschätzend anderen gegenüber. Es gibt aber leider auch Menschen, die sich selbst als wichtiger oder wertvoller erachten, die sich anderen Menschen gegenüber nicht so verhalten, als seien diese gleich viel wert wie sie selbst. Es scheint für einige einen Unterschied zu machen, wie man aussieht, wie man denkt oder spricht. Ein Unterschied in der Wertigkeit wird besonders oft gemacht, wenn Menschen aus einem anderen Land kommen oder eine Behinderung haben.
Was hat das alles mit dem Thema des diesjährigen Buß- und Bettages zu tun „Heute einen Krieg beenden“?
Wenn es um die Gleichwertigkeit aller Menschen geht, um gleiche Rechte und Pflichten, dann haben Menschen mit Migrationshintergrund oder mit Behinderung oft Schwierigkeiten zu ihrem Recht zu kommen, gleichwertig zu sein mit den anderen.
Ein Blick zurück verrät, dass es uns Frauen noch vor einiger Zeit auch so erging. Mann und Frau waren nicht gleich vor dem Gesetz. Zum Beispiel war es Frauen verboten ohne die Erlaubnis des Ehepartners zu arbeiten oder ein Konto zu führen. Heute scheint uns das absurd. Heute sind diese Rechte zum Glück gesetzlich verankert. Keiner kommt mehr auf die Idee, dieses Recht in Frage zu stellen. Frauen und Männer sind gleich in ihrem Recht.
Seit einigen Jahren ist auch das Recht auf schulische Inklusion gesetzlich verbrieft. Kinder und Jugendliche mit Behinderung haben das Recht eine Regelschule zu besuchen, gemeinsam mit allen anderen Kindern. Endlich! Für viele Eltern, die genau dies für ihr Kind wollten, ist ein jahrelanger Kampf gewonnen, ein Kampf, den man oft als Krieg bezeichnen konnte, einen Kleinkrieg mit Behörden, Lehrer*innen und Schulleiter*innen und mit bzw. gegen andere Eltern, die glauben, ihr Kind würde darunter „leiden“, wenn ein Kind mit Behinderung neben ihm auf der Schulbank säße. Dieser Kleinkrieg war oft zermürbend, man brauchte einen sehr langen Atem und musste viel Gegenwehr aushalten, ein mühsamer „Belagerungskrieg“.
Das neue Recht auf inklusive Beschulung ist ein Teil der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention, die seit 2008 in Kraft ist. Es ist ein unglaublich wichtiger Schritt hin zu einem selbstbestimmten, bunten und auch individuelleren Leben von uns allen. Denn Inklusion meint ja nicht, wie oft völlig verkürzt dargestellt, „nur“ die Integration von Menschen mit Behinderung. Inklusion bedeutet eine größere Sichtbarkeit des Individuums. Für den schulischen Bildungsweg bedeutet Inklusion in einer vollständigen Umsetzung, dass bei allen Schüler*innen genau hingeschaut wird, was ihre Stärken und Schwächen sind und wo und wie sie bestmöglich gefördert und gefordert werden können.
Klar, Inklusion klappt (noch) nicht überall, viel Engagement ist nötig und oft viel Improvisation. Wir wissen, dass es noch nicht rund geschweige denn perfekt läuft. Aber das liegt im Zusammenhang mit der Schule eigentlich nicht am Thema Inklusion, sondern daran, dass es einfach nicht ausreichend Lehrer*innen gibt, dass die Klassen viel zu groß sind und die Schulen finanziell viel zu schlecht ausgestattet sind. Mit 33 anderen Kindern kann kein Kind optimal und individuell von einer/m Lehrer(in) gefördert werden.
Schulische Inklusion ist die Vision, dass wir unseren Schüler*Innen ein Lernen ermöglichen, was individuelles Fordern und Fördern ermöglicht, und das nicht nur bei Kindern mit Behinderung, sondern auch bei besonders begabten, bei besonders leisen und bei besonders lauten Kindern, bei sportlichen und musikalischen oder phantasiebegabten. Eben eine optimale Förderung für alle.
Für den diesjährigen Buß- und Bettag wünsche ich mir, dass wir alle einmal in uns gehen und uns selbst ehrlich hinterfragen im Hinblick auf uns eigenes Denken und auch konsequentes Handeln.
Sind in meinen Augen alle Menschen gleich wertvoll?
Handele ich dementsprechend?
Wen grenze ich aus und warum?
Ich persönlich wünsche mir, dass Inklusion, ob nun in der Schule oder anderswo, als Chance begriffen wird. Als Chance dafür, genauer hinzugucken, den einzelnen Menschen deutlicher in seine Fassetten wahrzunehmen und nicht zu versuchen, alle über einen Kamm zu scheren. Kein Mensch ist wie der andere, jeder ist besonders. Wenn wir das wissen, wirklich verinnerlicht haben und tatsächlich umsetzen wollen, dann stellt sich mir die Frage, warum wir versuchen, Unterricht so durchzuführen, als seien alle gleich, als würde für alle der gleiche Maßstab gelten, als seien alle einheitlich. Hoffen wir, dass wir in einigen Jahren auf diese gesetzliche Verankerung von schulischer Inklusion genauso zurückblicken wie heute auf das Recht der Frauen zu wählen. Dann ist nicht nur ein „Krieg“ für Eltern mit Kindern mit Behinderung beendet, sondern auch das Fundament für eine bunte Gesellschaft geschaffen. Denn auch unsere Kinder werden erwachsen und sind dann mit der Erkenntnis „groß geworden“, dass die Gesellschaft bunt gemischt ist und dass das die Normalität ist.
Und dann, dann sind sie wieder alle gleich, unsere Kinder, gleich gut gefordert und gefördert, gleich vor dem Gesetz, gleich wertvoll. Dann sind alle Menschen gleich, vor Gott und auf der Erde.
Nora Langerock-Siecken
Referentin für Arbeit und Soziales
KWA
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