Im August saß ich bei 35 Grad in Katerini in der „Sozialen Bibliothek“ des ehrenamtlichen Projekts „O topos mou“ in Katerini, sechzig Kilometer westlich von Thessaloniki, in Sichtweite des Olymp. Ich nahm die letzten Korrekturen an meinem neuen Buch vor, während nebenan in der „Solidarischen Apotheke“ sieben junge Frauen und Männer aus der Ev. Jugend Hannover Medikamente sortierten.

Das Workcamp in Katerini war für mich die unglaublichste aller verrückten Erfahrungen in diesem Corona-Jahr. Im Winter geplant, übers Frühjahr gezittert, erwischten wir genau die zwei Wochen, in denen solch eine Reise in diesem Sommer überhaupt möglich war. Für die Sieben war es ein Crashkurs: Sie schauten „von unten“ auf die wirtschaftliche Situation in Griechenland und sie erlebten die hoffnungsfrohen Geschichten, die dieses bürgerschaftliche Projekt erzählt. Denn hier kann studiert werden, wie solidarisches Handeln gelingen kann, wenn Menschen mit Mut, Ideen und manchmal auch etwas Frechheit darangehen, sich für andere einzusetzen. Und sie erlebten die wunderbare Natur und die herzliche Gastfreundschaft von Elias Tsolakidis und seinen Mitstreiter:innen. Zurück kamen sie als Botschafter:innen, für O topos mou, für die europäische Idee.

 

 

Seit fünf Jahren baue ich meine Kontakte in den Großraum Thessaloniki immer weiter aus und ich bin für jede Begegnung dankbar. Ob es dieses Projekt in Katerini ist oder der Kontakt zur Griechich-deutschen Industrie- und Handelskammer, der mehrfache Besuch der besetzten Fabrik vio.me, Gespräche mit dem Flüchtlingsprojekt NAOMI oder ein Besuch in der deutschen Auslandsgemeinde in Thessaloniki, jede dieser Begegnungen konfrontiert mich mit einer Kultur, die mir in manchen Punkten sehr vertraut, in anderen aber fremd ist. Jede Begegnung hält mir so einen Spiegel vor, in dem ich mich und mein Leben in Deutschland neu in den Blick bekomme und zugleich eine Ahnung von dem Potential der europäischen Idee erhalte. Die Tatsache, dass in Nordgriechenland viele Frauen und Männer deutsch sprechen, macht diese Begegnungen nicht nur einfacher, sondern viele Griech:innen haben selbst in Deutschland gelebt und erzählen auch gerne von ihrem Blick auf uns.

Wir stehen vor riesigen Herausforderungen und ich lebe in einem Land, in dem es vielen Menschen und Eirichtungen im europäischen Vergleich immer noch sehr gut geht. Deutschland hat daher in meinen Augen auch eine Verantwortung, klug zu handeln, auf Augenhöhe und mit Augenmaß. Persönliche Begegnungen schaffen Verbundenheit und manchmal auch Vertrautheit, eine gute Voraussetzung dafür, gemeinsam Potentiale Europas zu heben. Seit ich konkrete Menschen in Thessaloniki und Umgebung kenne, merke ich an mir, dass ich mit anderer Intensität und Leidenschaft für ein soziales und nachhaltiges Europa eintrete. Europa ist für mich nicht mehr fern, sondern ganz nah. Und für Menschen, denen ich mich verbunden fühle, setze ich mich ein, das folgt für mich aus meiner christlichen Grundüberzeugung und meinem Glauben.

Das kann auch ganz praktisch geschehen: Elias Tsolakidis erzählte uns im Sommer, dass sie davon ausgehen, dass die weitgehend ausgefallene Tourismus-Saison in diesem Winter Menschen in den Hunger treiben wird. Daher planen sie den Umbau eines Gebäudes, um dort eine „Soziale Küche“ einzurichten. Beschrieben ist das aktuelle Projekt auf dieser Seite: Spendenaufruf Soziale Küche – dort finden sich auch die Angaben des Spendenkontos. Ich bin schon gespannt, was aus unseren Spenden geworden ist, wenn ich hoffentlich im Sommer 2021 erneut in Katerini sein werde.

 

 

Autor und Kontakt

Dr. Matthias Jung
Landessozialpfarrer

Archivstraße 3
30169 Hannover
Tel: 0511 1241 456
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